Alle Lebewesen existieren in einem abgeschlossenen Raum. Dieser abgeschlossene Raum ist ihr persönlicher Mikrokosmos, in dem sich sich auskennen, sich bewegen und ihr Leben verbringen. Einige Lebewesen neigen dazu, diesen Raum für sich zu vergrößern, andere verfügen bereits über einen so großen Raum, dass sie ihr Leben lang damit beschäftigt sind, sich innerhalb dieses Raumes zu bewegen.
Der Mensch verfährt in dieser Hinsicht so, wie alle anderen Lebewesen auch. Er versucht seinen Bewegungsradius stetig auszuweiten, so dass er letztlich auf der ganzen Erde zu Hause ist und sich überall vollkommen frei bewegen kann. Diese Fähigkeit sich zu bewegen bezieht sich nicht nur auf die materielle, sondern auch auf die geistige Welt und unterliegt gleichzeitig denselben Beschränkungen. Diese können mit der Bedürfnispyramide nach Maslow wiedergegeben werden. Innerhalb dieser entscheidet sich der Mensch, ob er seinen physischen bzw. geistigen Raum erweitert.
- Selbstverwirklichung
- Individualbedürfnisse
- Soziale Bedürfnisse
- Sicherheit
- Physiologische Bedürfnisse
Hierbei lässt sich diese Verfahrensweise auch auf die Religion anwenden, welche alle Bedürfnisebenen befriedigen kann. Lediglich die physiologischen Grundbedürfnisse werden nicht abgedeckt. Ist man auf der obersten Stufe angelangt (Selbstverwirklichung), möchte man die niedriger angesiedelten Ebenen jedoch nicht mehr verlieren und beginnt sich nicht mehr weiter zu Entfalten, sondern begnügt sich mit der Aufrechterhaltung des Status quo. Jeder Wechsel zu einer anderen Religion birgt das Risiko, die Befriedigung aller Bedürfnisse zu verlieren und man steht vor einem Neuanfang, zu dem die meisten Menschen irgendwann nicht mehr bereit sind. Diese Haltung jedoch birgt das Risiko des Krieges und damit der Vernichtung, da in dieser Welt alles zusammen hängt und ein Aufeinanderprallen verschiedener Mikrokosmen unvermeidbar wird. Die Geschichte belegt dies mit ihren Religionskriegen und Diskriminierungen eindrücklich.
Kann es eine Lösung geben? Die gibt es in der Tat, liegt sie doch in der Ursache selbst begründet. So lange es mehrere Mikrokosmen nebeneinander gibt, so lange muss es auch einen größeren Raum geben, der diese kleineren Räume in sich beherbergt. Dieser Makrokosmos ist es, der so wie alle anderen Makrokosmen (jeder Makrokosmos wird zum Mikrokosmos und jeder Mikrokosmos erscheint zunächst als Makrokosmos) erkannt werden muss.
Religionen sind letztlich nur der Ausdruck einer Wahrnehmung der Wahrheit oder anders des Systems. Jedes Religion ist ein Subsystem, durch dieses es möglich wird Kontakt zum Hauptsystem aufzunehmen. Damit hat man jedoch nicht die absolute Wahrheit erfasst. Veranschaulicht wird dies durch die Geschichte der blinden Männer und dem Elefant:
Es waren einmal fünf weise Gelehrte. Sie alle waren blind. Diese Gelehrten wurden von ihrem König auf eine Reise geschickt und sollten herausfinden, was ein Elefant ist. Und so machten sich die Blinden auf die Reise nach Indien. Dort wurden sie von Helfern zu einem Elefanten geführt. Die fünf Gelehrten standen nun um das Tier herum und versuchten, sich durch Ertasten ein Bild von dem Elefanten zu machen.
Als sie zurück zu ihrem König kamen, sollten sie ihm nun über den Elefanten berichten. Der erste Weise hatte am Kopf des Tieres gestanden und den Rüssel des Elefanten betastet. Er sprach: „Ein Elefant ist wie ein langer Arm.“
Der zweite Gelehrte hatte das Ohr des Elefanten ertastet und sprach: „Nein, ein Elefant ist vielmehr wie ein großer Fächer.“
Der dritte Gelehrte sprach: „Aber nein, ein Elefant ist wie eine dicke Säule.“ Er hatte ein Bein des Elefanten berührt.
Der vierte Weise sagte: „Also ich finde, ein Elefant ist wie eine kleine Strippe mit ein paar Haaren am Ende“, denn er hatte nur den Schwanz des Elefanten ertastet.
Und der fünfte Weise berichtete seinem König: “ Also ich sage, ein Elefant ist wie ein riesige Masse, mit Rundungen und ein paar Borsten darauf.“ Dieser Gelehrte hatte den Rumpf des Tieres berührt.
Nach diesen widersprüchlichen Äußerungen fürchteten die Gelehrten den Zorn des Königs, konnten sie sich doch nicht darauf einigen, was ein Elefant wirklich ist.Doch der König lächelte weise: „Ich danke Euch, denn ich weiß nun, was ein Elefant ist: Ein Elefant ist ein Tier mit einem Rüssel, der wie ein langer Arm ist, mit Ohren, die wie Fächer sind, mit Beinen, die wie starke Säulen sind, mit einem Schwanz, der einer kleinen Strippe mit ein paar Haaren daran gleicht und mit einem Rumpf, der wie eine große Masse mit Rundungen und ein paar Borsten ist.“
Die Gelehrten senkten beschämt ihren Kopf, nachdem sie erkannten, daß jeder von ihnen nur einen Teil des Elefanten ertastet hatte und sie sich zu schnell damit zufriedengegeben hatten.
Verfasser unbekannt
Dies setzt voraus, dass man bereit sein muss, seine alten Erfolge in seinem Mikrokosmos fallen zu lassen um die Möglichkeit zu haben, eine höhere Erkenntnisebene zu erreichen. Es muss einem klar sein, dass es immer die Möglichkeit eines weiteren Makrokosmosses gibt und man darf nie aufhören zu suchen und sich zu entwickeln. Das einzige, was sicher ist ist die Tatsache, dass der Wechsel innerhalb der Mikorkosmen keinen Aufstieg bedeutet, denn so lange eine Sache für sich die objektive Wahrheit beansprucht ist sie falsch.
„Glaube denen, die die Wahrheit suchen, und zweifle an denen, die sie gefunden haben.“
André Gide
Jeder Mensch hat eine eigene subjektive Wahrheit. So ist beispielsweise für mich der Koran die Wahrheit. Diese Wahrheit gilt es für mich zu befolgen und nach ihr zu handeln. Das bedeutet jedoch nicht, dass meine Wahrheit auch die Wahrheit meines Gegenübers sein muss. Seine Wahrheit ist möglicherweise in der Bibel zu finden. Wenn wir nun diese Wahrheiten als solche akzeptieren und anerkennen, dass das System beide Wahrheiten beinhaltet, dann erreichen wir die Stufe der Toleranz, die wir benötigen um das eingangs erwähnte Problem zu lösen: wir anerkennen uns alle als Diener der Wahrheit und dies ist letztlich auch das, was der Koran uns in unserem Mikorkosmos Nahe legt:
Sag: O Leute der Schrift, übertreibt nicht in eurer Religion außer in der Wahrheit und folgt nicht den Neigungen von Leuten, die schon zuvor irregegangen sind und viele (andere mit ihnen) in die Irre geführt haben und vom rechten Weg abgeirrt sind. (5/77)
قل ياهل الكتب لا تغلوا فى دينكم غير الحق ولا تتبعوا اهواء قوم قد ضلوا من قبل واضلوا كثيرا وضلوا عن سواء السبيل
Der Wahrheit zu dienen bedeutet zu erkennen, dass jede Wahrheit subjektiv ist und die eine objektive Wahrheit nur bei Gott sein kann.