Hikma – Weisheit

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Der orthodoxe Islam bemüht sich innerhalb des Koran eine Rechtfertigung für die Sammlung der Ahadith als weitere Rechtsquelle zu finden. Ein Vers, der dabei häufig genutzt wird ist Sure 2 Vers 151:

Wir haben ja auch einen Gesandten aus euren eigenen Reihen unter euch auftreten lassen, der euch unsere Verse verliest, euch von der Unreinheit des Heidentums) läutert, euch die Schrift und die Weisheit lehrt und euch (überhaupt) lehrt, was ihr (bisher) nicht wußtet.

كما ارسلنا فيكم رسولا منكم يتلوا عليكم ءايتنا ويزكيكم ويعلمكم الكتب والحكمة ويعلمكم ما لم تكونوا تعلمون

Ausgehend von der Annahme, dass es sich bei der Schrift und der Weisheit um zwei unterschiedliche Dinge handelt, verstehen die meisten orthodoxen Muslime an dieser Stelle, dass die Schrift der Koran sei und die Weisheit die Sunna.

 

Diese Interpretation steht jedoch nicht im Einklang mit dem Koran.

Bereits die Annahme, dass es sich bei der Weisheit und der Schrift um zwei verschiedene Dinge handeln müsse ist reine Spekulation, wie sich aus Sure 17 Vers 39 ersehen lässt:

Das ist (etwas) von dem, was dein Herr dir an Weisheit eingegeben hat. Setz nicht Gott einen anderen Gott zur Seite, damit du (schließlich) nicht der Hölle verfällst, getadelt und verworfen!

ذلك مما اوحى اليك ربك من الحكمة ولا تجعل مع الله الها ءاخر فتلقى فى جهنم ملوما مدحورا

Es ist klar zu erkennen, dass es hier um den Koran geht und nicht um eine Offenbarung neben dem Koran. Insofern ist die Aussage, dass die Schrift und die Weisheit getrennt sein müssen eine Annahme für die man sich entscheiden kann, aber nicht muss. Ich persönlich erachte es als Blasphemie auf Grund von Vermutungen weitere Rechtsquellen einzuführen.

Natürlich bedeutet dies nicht, dass Weisheit nicht auch ohne eine Schrift offenbart werden könne. Der Koran enthält ein Beispiel dafür:

Und wir haben doch (seinerzeit) dem Luqmaan die Weisheit gegeben (indem wir ihn aufforderten): Sei Allah dankbar! Wenn einer Allah dankbar ist, ist er es zu seinem eigenen Vorteil. Und wenn einer (ihm) undankbar ist (tut das Allah keinen Abbruch). Allah ist auf keinen angewiesen und des Lobes würdig. (31:12)

ولقد ءاتينا لقمن الحكمة ان اشكر لله ومن يشكر فانما يشكر لنفسه ومن كفر فان الله غنى حميد

 

Luqmaan wird an dieser Stelle Weisheit gewährt. An keiner Stelle des Koran wird Luqmaan jedoch eine offenbarte Schrift nachgesagt.

Wir können aus den bislang angeführten Versen ableiten, dass Schrift und Weisheit sowohl identisch als auch verschiedenen voneinander sein können. Die orthodoxen Muslime sind – wie bereits erwähnt – der Ansicht, dass es sich dabei um zwei verschiedene Dinge handelt und die Weisheit in der Sunna das Propheten zu finden sei. Ich will an dieser Stelle dieser Annahme zustimmen und sie konsequent zu enden denken.

Der Prophet erhielt also zwei verschiedene Dinge, den Koran und die Weisheit. Dazu möchte ich einige Fragen formulieren.

1. Hat der Prophet ausschließlich Kraft der ihm gegebenen Weisheit gehandelt?

Der Koran sagt dazu:

Prophet! Warum erklärst du denn im Bestreben, deine Gattinnen zufriedenzustellen, für verboten, was Gott dir erlaubt hat? (Mit deinem Enthaltungsschwur hast du Unrecht getan.) Aber Gott ist barmherzig und bereit zu vergeben. (66:1)

يايها النبى لم تحرم ما احل الله لك تبتغى مرضات ازوجك والله غفور رحيم

Ganz offensichtlich ist Gott mit dem Verhalten des Propheten unzufrieden. Es ist nicht vorstellbar, dass Muhammad hier Kraft der ihm gegebenen Weisheit gehandelt hat, da seine Handlung in den Augen Gottes falsch war. Zwei Antworten sind denkbar:

  1. Die Weisheit ist temporärer Natur, also nicht permanent verfügbar.
  2. Die Weisheit basiert nicht auf einer direkten Führung sondern stellt weniger eine Verhaltensweise als viel mehr eine Herangehensweise dar.

Egal wie man ich entscheidet. Tatsache ist, dass man aus den Handlungen des Propheten nicht herauslesen kann, ob diese auf der genannten Weisheit basieren oder nicht. Mit der Befolgung der Sunna setzt man jedoch eine allgegenwärtige Weisheit voraus. Die steht im Widerspruch zum Koran.

Die Sunnah kann folglich keine verbindliche Rechtsquelle sein.

 

2. Ist dies von Gott gegebene Weisheit als Rechtsquelle notwendig?

Der Koran lehrt in Sure 4 Vers 54:

Oder beneiden sie etwa die Leute wegen dessen, was Allah ihnen von seiner Huld gegeben hat? (Dabei haben ihre eigenen Vorfahren in gleicher Weise Allahs Huld erfahren.) Wir haben (doch früher) der Sippe Abrahams die Schrift und die Weisheit gegeben und ihnen gewaltige Herrschaft verliehen.

ام يحسدون الناس على ما ءاتىهم الله من فضله فقد ءاتينا ءال ابرهيم الكتب والحكمة وءاتينهم ملكا عظيما

Die Sippe Abrahams erhielt die Schrift und die Weisheit. Ausgehend von der Annahme, dass die Schrift und die Weisheit verschiedene Dinge seien stellt sich die Frage, was die Schrift und die Weisheit an dieser Stelle sind. Analog zum Koran muss es sich bei der Schrift um eine Offenbarungsschrift handeln. Bei der Sippe Abrahams handelt es sich offensichtlich um die Juden. Laut Koran erhielten diese die Thora. Die Weisheit hingegen findet keine Entsprechung in Überlieferungen der Juden. Es gibt keine Sammlungen mit Handlungen von Moses, Abraham, Isaak, Ismael und den anderen. Es gibt nur die Thora.

Es ergeben sich zwei Möglichkeiten:

  1. Die Weisheit hat nicht den gleichen Stellenwert wie die Schrift.
  2. Die Juden waren nicht in der Lage zu begreifen, wie wichtig die Sunna der Sippe Abrahams ist und haben es versäumt diese zu bewahren.

Jedenfalls werden die Juden an keiner Stelle einer Verfälschung der Weisheit bezichtigt. Ihnen wird nur eine Verdrehung der Schrift zur Last gelegt.

Die Sunna ist folglich als Rechtsquelle nicht notwendig.

 

3. Ist die Weisheit wie auch die Prophetenschaft begrenzter Natur?

Der Koran erklärt, dass Muhammad der letzte Prophet sei, d.h. dass es nach ihm und damit nach dem Koran keine weiteren Offenbarungsschriften geben wird, da diese an die Existenz eines Propheten geknüpft sind. Was sagt der Koran zur Weisheit?

Er gibt die Weisheit, wem er will. Und wer die Weisheit erhält, erhält (damit) viel Gutes. Aber nur diejenigen, die Verstand haben, lassen sich mahnen. (2:269)

يوتى الحكمة من يشاء ومن يوت الحكمة فقد اوتى خيرا كثيرا وما يذكر الا اولوا الالبب

Die Weisheit kann folglich jeder Erlangen, niemand ist ausgeschlossen und sie endet auch nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt. Würde es also keinerlei Aufzeichnungen über die Sunnah geben, so würde dies für die Menschen keinerlei Rolle spielen, dass jeder Mensch vollkommen unabhängig von irgendwelchen Aufzeichnungen diese Weisheit von Gott erhalten kann.

Es besteht also keinerlei Notwendigkeit sich an eine Sunnah zu klammern, deren Inhalte nie wirklich authentifiziert werden können.

Fazit

Selbst wenn dem orthodoxen Dogma, dass die Weisheit mit der Sunna identisch sei, stattgegeben wird, lässt sich darauf keinerlei Relevanz für deren Aufbewahrung oder Befolgung ableiten. Dies aus drei Gründen:

  1. Muhammad handelte nicht immer der Weisheit entsprechend.
  2. Die Juden kennen keine Weisheit, die jenseits der Schrift zu finden wäre und werden dennoch nicht dafür kritisiert.
  3. Dies Weisheit ist nicht an Propheten gebunden. Jeder kann sie jeder Zeit erlangen.

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