Die Todesstrafe erfreut sich in der westlichen Welt nicht uneingeschränkter Beliebtheit. Im Prinzip verstößt sie gegen die Menschenrechte und immer mehr Länder sind bereit auf diese Art der Bestrafung zu verzichten. Wie steht aber der Koran dazu?
Der Koran kennt die Todesstrafe als gegeben bei Mord (http://meine-islam-reform.de/index.php/artikel/fiqh/266-strafemord.html), sieht also die Umsetzung dieser Richtlinie explizit vor. Ein guter Grund also, der Erscheinung der Ablehnung der Todesstrafe zumindest kritisch gegenüber zu stehen – sollte man bei oberflächlicher Betrachtung meinen.
Blickt man jedoch etwas tiefer, so sollte rasch klar werden, dass man aus koranischer Perspektive bei der weltweiten Umsetzung der Todesstrafe Zweifel anmelden muss, ob man den gegenwärtigen Verfahrensweisen zustimmen kann. Dies deswegen, weil die Umsetzung der Todesstrafe aus Sicht des Koran an etliche Bedingungen geknüpft ist, die jedoch in allen(!) gegenwärtig angewandten Rechtssystemen keinerlei Beachtung finden.
Das oberste Prinzip ist die Wahrung der Gerechtigkeit! Man spricht recht lapidar darüber, doch wahre Gerechtigkeit ist nur sehr schwer zu verwirklichen, weswegen die Todesstrafe, die zweifelsohne eine Höchststrafe ist, eigentlich kaum anwendbar ist. Dennoch werden weltweit pro Jahre hunderte von Menschen hingerichtet. Im Jahre 2010 waren es mindestens 527 Menschen (http://www.amnesty-todesstrafe.de/files/ACT50-001-2011.pdf). Es scheint mir schwer vorstellbar, dass bei diesen Menschen wirklich Recht gesprochen wurde.
Gerechtigkeit! Was ist das überhaupt? Es ist der Versuch, dem Menschen gerecht zu werden. Wie kann man einem Menschen gerecht werden, wenn er Jahrzehnte in einer Todeszelle sitzt, bevor er überhaupt bestraft wird? Wie kann man dem Menschen gerecht werden, wenn er Reue zeigt? Wie kann man dem Menschen gerecht werden, wenn er in einer Notsituation war? Wie kann man dem Menschen gerecht werden, wenn seine Schuld erst nach Jahren festgestellt werden konnte? Wie kann man dem Menschen gerecht werden, wenn er im Affekt handelte?
Diese Fragen werden von den heutigen Rechtssystem in den wenigsten Fällen berücksichtigt und deswegen kann man nicht nur, sondern man muss mit dem Koran gegen diese Praxis vorgehen! Nur ein Rechtssystem, welches explizit auf den koranischen Richtlinien basiert und diese auch zur Anwendung bringen kann ist theoretisch dazu berechtigt, einen Menschen zum Tode zu verurteilen. Ein solches Rechtssystem existiert jedoch nicht. Vielleicht wird es nie wieder existieren, vielleicht existierte es nur zu Lebzeiten des Propheten Muhammads. Es ist sogar sehr wahrscheinlich, dass es nie wieder ein System geben wird, in dem die Richtlinien des Koran implementiert sind. All die Staaten, die für sich in Anspruch nehmen dem Islam zu folgen tun dies in Wahrheit jedoch nicht. Sie haben sich eigene Gesetze gebastelt, die mit dem Koran nicht in Einklang zu bringen sind. Die Menschen dort leben unter Umständen, die mit dem Koran nicht in Einklang zu bringen sind. Dies ist jedoch kein Grund den Systemen nachzulaufen, die im Widerspruch zum Koran stehen, nur weil einzelne Aspekte mit diesem Deckungsgleich sind. Erst wenn eine vollkommene Übereinstimmung besteht, kann Recht im Sinne Gottes gesprochen werden.
Selbstverständlich unterwerfen wir uns dem Rechtssystem, in dem wir leben, das bedeutet jedoch nicht, dass wir damit zufrieden sind oder dies für gut befinden müssen. Insofern erscheint es mir angebracht, sich als Gläubiger gegen die Anwendung der Todesstrafe zu engagieren:
http://www.amnesty.ch/de/aktiv/netzwerke/gegen-folter-und-todesstrafe
Abschließend möchte ich Erwähnen, dass obiger Artikel sicherlich keine erschöpfende Abhandlung über die Anwendung des koranischen Rechtes darstellt und dies auch nicht sein will. Vor allem soll dazu angeregt werden einmal selbst darüber nachzudenken, inwieweit die Anwendung des Koran in der heutigen Zeit unter den gegenwärtigen Umständen überhaupt möglich sein kann. Vor der Strafe muss der Mensch die Möglichkeit haben sich selbst frei zu entscheiden, was er tun will. Wenn dies nicht möglich ist, so ist er nicht mit dem Koran zu richten und andere Instrumente müssen genutzt werden. Dies wird um so wichtiger, je folgenreicher die Strafe ist. Die folgenreichste von allen Strafen ist letztlich die Todesstrafe und deswegen muss man sich dafür einsetzen, dass diese so lange ausgesetzt wird, bis wirkliche Gerechtigkeit geübt werden kann.
Bereits das altjüdische „Auge für Auge, Zahn für Zahn“ wird als Argument gegen die Todes“strafe“ angesehen (auch wenn es meist als „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ falsch zitiert wird):
Siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Auge_f%C3%BCr_Auge
Todesstrafe ermöglicht keinen Schadensersatz; sie ist nach meinem Verständnis immer ein Racheakt, der überwiegend der Selbstbefriedigung dient.
Eine Strafe ist sie ohnehin nicht, da sie dem Täter alle Möglichkeiten der Wiedergutmachung sowie der Resozialisierung nimmt.
Eckhardt Kiwitt, Freising