Es ist hinlänglich bekannt, daß im orthodoxen Islam der Konsum von Alkohol und anderen Rauschmitteln strengstens untersagt ist, ja, es ist sogar verboten mit Menschen, die Alkohol konsumieren an einem Tisch zu sitzen. Diese Sichtweise gründet rein auf Ahadith und wird so vom Koran nicht unterstützt.
Betrachten wir die überschaubare Anzahl von Versen, die sich diesem Thema widmen, so lesen wir zunächst in Sure 16 Vers 67: „Auch aus den Früchten der Dattelbäume und der Rebstöcke stellt ihr für euch Wein her, aber auch schönes Rizq. Gewiß, darin ist zweifelsohne eine Aya für Leute, die begreifen.“ In diesem Vers wird Alkohol als ein natürliches Produkt aus (in diesem Falle) Datteln und Trauben. Es liegt also keinerlei Wertung desselben vor; es ist jedoch auffällig, daß offenbar im Gegensatz zum Wein „schönes Rizq“ (Bezeicnhung für alles, was nützlich ist) genannt wird, was bereits eine Trennung zwischen dem guten Gewinn aus Datteln und Rebstöcken und dem Wein daraus unterschieden wrd.
Im nächsten Vers lesen wir in Sure 2 Vers 219: „Und sie fragen dich nach dem Khamr und dem Glücksspiel. Sag: ‚In beiden sind große Verfehlungen und Nutzen für die Menschen; doch ihre Verfehlungen überwiegen ihrem Nutzen.‘ Und sie fragen dich, wieviel sie geben sollen. Sag: ‚Den Überschuss.‘ Solcherart verdeutlicht ALLAH euch die Ayat, damit ihr nachdenkt“ Khamr (bezeichnet alles, was berauscht) wird in diesem Vers ambivalent dargestellt: es kann dem Menschen nützen, kann ihm aber auch Schaden. Man beachte dabei die Formulierung: nicht der Khamr an sich ist eine Verfehlung, sondern in ihm liegt diese, d.h. es kommt auf den Gebrauch an: so kann Morphium im medizinischen Bereich durchaus als Schmerzmittel sinnvoll eingesetzt werden, gleichzeitig kann man damit aber auch seine Gesundheit zerstören. Des weiteren macht der Vers darauf aufmerksam, daß die Verfehlung überwiegt, was nichs anderes heißen kann als daß der Einsatz von Khamr im Zusammenhang mit dessen Notwendigkeit steht: der Nutzen ensteht durch die Not!
Sure 4 Vers 43 geht nicht direkt auf jedes Rauschmittel ein: „Ihr, die den Iman verinnerlicht habt! Nähert euch nicht dem rituellen Gebet , wenn ihr betrunken* seid – damit ihr wißt, was ihr sagt -, auch nicht, wenn ihr dschunub seid – mit Ausnahme von Vorbeigehenden (bzw. Reisenden) , bis ihr Ghusl durchgeführt habt. Und wenn ihr krank oder auf Reisen seid oder der eine von euch von der Notdurft kommt oder ihr die Frauen (intim) berührt habt und kein Wasser finden könnt, dann sucht reine Erdoberfläche und streicht euch über eure Gesichter und Hände (bis zu den Ellbogen). Gewiß, ALLAH bleibt immer reue-annehmend, allvergebend.“ Allah macht uns darauf Aufmerksam, daß man nicht beten soll, wenn man nicht bei sich selbst ist, womit indirekt übermäßiger Alkoholkonsum ausgeschlossen wird.
Der letzte Vers, der im Zusammenhang mit Alkohol und anderen Rauschmitteln steht ist Sure 5 Vers 90: „Ihr, die den Iman verinnerlicht habt! Khamr , Glücksspiel, Opfersteine und Alazlam sind doch nur Unreinheiten aus dem Werke des Satans, so meidet sie, damit ihr erfolgreich werdet.“ An dieser Stelle wird Khamr in einer Reihe mit Glückspielen und Wahrsagerei und sonstigen vorislamischem, polythesitischen Brauchtümern genannt, welche ein Werk Satans darstellen, d.h. sie dienen dazu den Menschen von seinem Weg abzubringen. Es ergeht dennoch kein direktes Verbot, sondern der persönliche Erfolg des Menschen wird daran geknüpft, inwieweit man sich von den genannten Dingen fernhält. Es ist bemerkenswert, daß die Wahrsagerei mittels Lospfeilen (Alazlam) und Opfersteine (auf ihnen wurde den Göttern geopfert) in Sure 5 Vers 3 ganz konkret verboten werden: „Für haram wurde euch erklärt das Verendete, das (vergoßene) Blut, Schweinefleisch, das, was für andere als ALLAH geschächtet wurde, das Erwürgte, das Erschlagene, das zu Tode Gestürzte, das tödlich (von anderen Tieren) Gestoßene, das von Raubtieren Angefressene, außer dem, was ihr (noch vor dem Verenden) durch Schächten gereinigt habt, das, was auf den Kultsteinen geschlachtet wurde, und dass ihr eure Entscheidungen durch Al-azlam trefft. Dies ist Fisq! An diesem Tag haben die Kafir (es) aufgegeben, (euch) von eurem Din (abzubringen), so fürchtet sie nicht, sondern (nur) Mich! An diesem Tag habe ICH euch (die Gebote) eures Din vervollständigt, euch Meine Gabe (Rechtleitung) vollendet und euch den Islam als Din zugestimmt. Wer jedoch durch Hungersnot, ohne dabei eine Verfehlung zu beabsichtigen, gezwungen wird, (dies zu übertreten), so ist ALLAH gewiss allvergebend, allgnädig.“ Dies ist deswegen nennenwert, weil im Gegensatz dazu Glücksspiel und Berauschendes nicht komplett verboten sind. Offenbar resultiert diese Darstellung aus dem in 2:219 genannten Nutzen für den Menschen
Man kann also sagen, daß Berauschendes und Glücksspiel im Koran nicht gänzlich verboten werden. Es wird aber geboten sich von diesen Dingen zu distanzieren, so sie nicht notwendig sind, was im Prinzip einem generellen Verbot gleichkommt, daß in sich allerdings eine Ausnahme beinhaltet.
*sokara bezieht sich nicht nur auf Rauschzustände in Folge von Alkoholkonsum, sondern jegliche Situation, in der man nicht mehr Herr seiner Sinne ist, also auch im Falle von Aufregung, Schwindelgefühl, Leidenschaft oder auch sog. „Schlaftrunkenheit“ – alles, was die Sinne einschränkt.
Quellen:
AT-TAFSIR von A. Zaidan (Koranübersetzung)
Tafsir al-Quran al-Karim von M. Rassoul