Anmerkungen zum Artikel „Warum nicht Koran allein?“

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In seinem Artikel „Warum nicht Koran allein?“ ( http://tavhid.de/?p=1323 )geht der Autor der Beantwortung dieser Frage nach – ohne diese jedoch wirklich zu beantworten. Ob dies aus Unkenntnis der entsprechenden innerislamischen Strömung heraus geschieht kann nicht beantwortet werden, doch mit der Argumentation für „Koran alleine“ hat seine Auseinandersetzung allenfalls am Rande zu tun und entsprechend widmet er sich einem Argumentationsbereich der auch innerhalb dieser Strömung kritisch betrachtet wird.

Dabei handelt es sich um die Frage, inwieweit sich eine gänzliche Ablehnung der Ahadith aus eben diesen Ableiten lässt. Daran ist zu kritisieren, dass jegliche Beantwortung dieser Frage auf Basis der Ahadith ein Zirkelschluss ist. Wenn man die Ahadith ablehnt mit der Begründung, dass diese selbst eben jenen Schluss nahelegen, dann operiert man wiederum auf deren Basis, womit man sich augenblicklich die rationale Argumentationsgrundlage entzieht. Das wäre zu vergleichen mit der Aussage „Ich glaube an die Bibel, weil die Bibel sagt, dass man an sie glauben solle“. Damit kann man alles und nichts und auch das Gegenteil rechtfertigen. Rational ist es deswegen noch lange nicht. Insofern dient es auch nicht der Beantwortung der Frage und damit des Selbstverständnisse des Artikel. Unabhängig davon, für welche Interpretation man sich entscheidet, weswegen eine nähere Auseinandersetzung zumindest aus „nur-koran“-Perspektive nicht lohnenswert ist.

Einen einzigen Punkt aus diesem Teil des Artikels möchte ich jedoch dennoch herausgreifen, weil mir die innere Logik vollkommen absurd erscheint.

Ohne eine Genehmigung des Propheten durfte nichts aufgeschrieben werden. Der Grund ist, wie wir es bereits oben erläutert haben. Zu dem hatte er noch große bedenken gehabt, dass die Leute zwischen Hadithe und Koranverse nicht mehr unterscheiden könnten wenn sie vom Propheten unbeaufsichtigt niedergeschrieben wurden.

Ich kann ehrlich gesagt nicht verstehen, wie man den Unnachahmlichkeitsanspruch des Koran durch Texte in Gefahr sehen kann, die zumeist nicht einmal wörtlich, sondern paraphrasierend tradiert wurden. Dies aber nur als kleine gedankliche Anmerkung meinerseits.

Der eigentlich interessante, weil auf den Koran bezogene Abschnitt des Artikels lautet wie folgt:

Die Behauptung, dass der Koran alleine ausreicht kann in mehreren Punkten wiederlegt werden z.B. das Thema Diebstahl. Der Koran nennt zwar eine Strafe, doch ab welchem Wert diese umgesetzt wird ist nicht angegeben. Es wäre ungerecht zu behaupten, dass der Wert keine Rolle spielt. Wäre es wirklich gerecht, wenn jemand etwas wertvolles stiehlt und dabei dieselbe Strafe bekommt wie jener, der im Vergleich nur ein Bruchteil des Wertes gestohlen hat? “Das Wort deines Herrn wird vollendet sein in Wahrheit und Gerechtigkeit” heißt es im Koran 6:115.

Von den vielen Punkten, von denen der Autor überzeugt ist, dass sie die Meinung, der Koran genüge allein nennt der Autor nur einen. Diesen kann man immer wieder neu verpacken und letztlich auf die Aussage reduzieren, dass der Koran nicht vollständig sei. Meist wird das Gebet als Argument angeführt, da der Koran dies ja nicht vollständig beschreiben würde hier ist es nun die Anordnung des Strafmaßes für Diebstahl.

Aus „quranitischer“ Sicht ist der Autor hiermit jedoch in einem Irrtum befangen – eigentlich sind es sogar mehrere.

 

1. Irrtum: Der Autor begreift die Strafe für Diebstahl als absolut. Da diese als absolut wahrgenommen wird widerspricht sie so der Anforderung des Koran an die Gerechtigkeit, weswegen das Absolute des Koran mit den Ahadith relativiert werden müsste.

Diese Sichtweise ist unter den sogenannten Quraniten jedoch nicht verbreitet. Jegliche Strafe des Koran wird eben wegen der Frage nach der Gerechtigkeit als Höchststrafe betrachtet. Das bedeutet, dass nicht jeder Dieb automatisch mit einer Amputation der Hände zu rechnen hätte. Es müssen hierfür etliche Faktoren zusammenkommen, die eine Höchststrafe rechtfertigen würden. Bei allem, was nicht in diese Kategorie fällt gilt das Beispiel Josefs :

Sie sagten: „Die Strafe dafür sei: Der, in dessen Satteltaschen er (der Becher) gefunden wird, soll selbst das Entgelt dafür sein. So belohnen wir die Übeltäter.“ (12/75)

قالوا جزوه من وجد فى رحله فهو جزوه كذلك نجزى الظلمين

Dieser Vers lässt Raum für etliche Interpretationen auch im Hinblick auf eine Gefängnisstrafe. Doch macht der Koran an dieser Stelle in seiner Interpretationsvielfalt keinen halt. Weitere Möglichkeiten des Verständnisses von Sure 5 Vers 38 finden sich hier:

http://meine-islam-reform.de/index.php/artikel/fiqh/49-das-strafrecht-im-koran.html

http://quranix.net/?RTQ=1&TMG=1&MA=1&RK=1&SH=1&TE=1&A=1&L=en&NA=10&keywords=5%3A38&sinall=cur&slogic=and#RTQ9

http://www.free-minds.org/theft-punishment

http://antikezukunft.de/2010/08/16/handabhacken-die-einzige-moglichkei/

http://meine-islam-reform.de/index.php/artikel/fremdtexte/849-hand-abhacken-das-gesetz-der-masslosen.html

2. Irrtum: Der Autor ist der Meinung, dass die Ahadith den Koran komplettieren würde. Dies ist jedoch nicht der Fall. dies wird widerlegt durch die klassischen Prinzipien der Rechtsfindung des orthodoxen Islam: Konsens (Idchmaa) und Qiyas (Analogieschluss). Damit ist belegt, dass nach dem Verständnis der Orthodoxie auch die Ahadith nicht alles abschließend klären. Ob man nun die Ahadith als Zwischenstück wirklich benötigt wird von „Quraniten“ daher angezweifelt. Es spricht nichts dagegen den Koran mittels Analogie zu begreifen.

3. Irrtum: Der Autor argumentiert auf Basis seines Rechtsempfindens. Dies ist sicherlich nicht zu verurteilen, aber es ist fraglich, inwieweit das eigene Rechtsempfinden als Basis für die Beurteilung göttlicher Bestimmungen Geltung beanspruchen kann. Umgekehrt müsste man auch Fragen, wieso die Sunna keine Differenzierung bei Ehebruch anbietet. Eine Person, die auf Grund einer emotionalen Fehlleistung Ehebruch begeht ist sicherlich nicht einer Person ähnlich, die Ehebruch als „Hobby“ betreibt. Insofern wäre hier ebenfalls an das Gerechtigkeitsgefühl zu appellieren – allein mir sind keine Ahadith bekannt, die Ehebruch näher Differenzieren würden.

Zum Abschluss möchte ich den Blick auf das Fazit des Autors lenken:

Als Abschluss wollen wir uns mit der 4:87 begnügen: […] Wessen Wort/Ahadith ist zuverlässiger als Allahs? […]

Dieser Letzte Vers trägt nicht die Botschaft, den Propheten als unzuverlässig zu erklären. Die Weisheiten der Propheten sind ebenfalls als Bestandteile der Offenbarungen zu unterstreichen. Nämlich die Wahl Gottes, jenen als Warner zu schicken die mit besonderer Fähigkeit und Weisheit ausgeschmückt war: “Gott hat dir das Buch und die Weisheit herabgesandt und dich gelehrt, was du nicht wußtest”. (Koran 4:113)

Der Autor begreift die Weisheit als vom Koran losgelöst. Dies ist jedoch nicht korrekt. Vielmehr ist es so, dass der Koran die Weisheit beinhaltet. Eine Abhandlung zu diesem Thema findet sich hier:

http://meine-islam-reform.de/index.php/artikel/fremdtexte/711-buch-und-weisheit-kitab-und-hikma-koran-und-hadithbuecher-.html

 

Positiv ist jedoch hervorzuheben, dass der Autor diejenigen, die die Ahadith ablehnen nicht als Ungläubige bezeichnet, wie es unter etlichen Sunniten jedoch leider üblich ist. Stattdessen nimmt er uns in den Kreis der Muslime auf:

Eine Minderheit der Muslime verwenden das Verbot der Niederschrift als Grund dafür, die Sunna bzw. die Hadithe komplett zu verwerfen.

 

Zuletzt entscheidet sich die Frage nach der Relevanz der Ahadith jedoch am Koran und nicht an den Ahadith. Lesen Sie hierzu auch:

http://alrahman.de/hadith-und-sunna/hadith-die-frage-der-authenzitaet

http://alrahman.de/hadith-und-sunna/dutzend-gruende-koran-allein

http://www.nachdenken-erlaubt.de/2011/12/20/die-ahlu-s-sunnah-ertrankt-sich-gerne-in-widerspruche/

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