Das Strafrecht im Koran

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Der Koran ist nicht nur ein spirituelles Buch, sondern auch ein Buch, dass das Leben der Menschen in grundlegenden Dingen regelt, wobei dem Menschen genügend Freiheiten zur Selbstbestimmung gegeben werden. Wie dies in Bezug auf das Strafrecht konkret aussieht soll hier anhand verschiedener Beispiele erläutert werden.


Grundlegendes:

Oberstes Gebot bei der Ausübung der Rechtsprechung ist die Wahrung der Gerechtigkeit:

Sure 4 Vers 58 : „Gewiß, ALLAH gebietet euch, daß ihr die euch anvertrauten Dinge ihren Besitzern zurückgebt, und wenn ihr unter den Menschen richtet, daß ihr mit Gerechtigkeit richtet. Und sicherlich gut ist das, wozu ALLAH euch ermahnt. Gewiß, ALLAH bleibt immer allhörend, allsehend.“ (Zaidan)

Diese Richtlinie wird auch an etlichen anderen Stellen erwähnt: 4/135, 5/8, 5/42, 6/152, 7/29, 7/159, 7/181, 38/26, 41/18, 57/25.

Ferner sind die nachfolgenden Strafen – so nicht anders dargestellt – stets als Höchststrafen zu verstehen, d.h. bei einer maximalen Schuld. Ob diese maximale Schuld besteht ist die Sache der Menschen. Es ist aber zu beachten, dass Reue das Strafmaß prinzipiell herabsetzt, wie man aus dem folgenden Vers ableiten kann:

Sure 5 Vers 39: „Und wer nach seiner Übertretung bereut und gottgefällig Gutes tut, von dem wird Allah zweifellos die Reue annehmen. Gewiß, Allah ist allvergebend, allgnädig.“ (Zaidan)

Des weiteren empfiehlt der Koran sogar auf die von ihm angeführten Höchststrafen zu verzichten:

Sure 5 Vers 45: „In der Thora haben Wir den Juden vorgeschrieben: Seele um Seele, Auge um Auge, Nase um Nase, Ohr um Ohr, Zahn um Zahn und Wunde um Wunde. Wer auf sein Vergeltungsrecht verzichtet und dem Täter großzügig verzeiht, sühnt damit manches begangene Vergehen. Diejenigen, die nicht nach den von Gott offenbarten Rechtsbestimmungen urteilen, das sind die Ungerechten.“ (Azhar)

Hier muss erwähnt werden, dass das koranische Strafrecht davon ausgeht, dass das Gericht auch wirklich das Opfer vertritt, d.h., dass zunächst geprüft werden muss, welche Strafe dem Vergehen angemessen ist, das Opfer aber entscheiden kann, ob die Strafe auch wirklich vollzogen wird. Die bedeutet jedoch nicht, dass der Täter nicht anderweitig in Anspruch genommen werden kann. Dies kann z.B. durch Erziehungsmaßnahmen zur Resozialisierung geschehen. Dies obliegt jedoch wiederum der menschlichen Vernunft.

Todesstrafe:

Der Koran kennt im Gegensatz zu den Ahadith nur zwei Vergehen, die die Todesstrafe nach sich ziehen: Mord und Fitna.

Mord:

Zwei Verse beziehen sich konkret auf die Todesstrafe:

Sure 2 Vers 178 „Ihr, die den Iman verinnerlicht habt! Euch wurde Qisas für die Getöteten geboten: „Der Freie für den Freien, der Sklave für den Sklaven und das Weibliche für das Weibliche.“ Und wem von den (Konsequenzen für die Tötung) seines Bruders etwas erlassen wird, dann gilt die Forderung (der Entschädigungszahlung) nach dem Gebilligten und die Bezahlung an ihn Ihsan gemäß. Dies ist Erleichterung von eurem HERRN und Gnade. Also wer danach übertritt, für den ist qualvolle Peinigung bestimmt.“ (Zaidan)

Sure 5 Vers 45 „Und WIR haben ihnen darin geboten: „Leben um Leben, Auge um Auge, Nase um Nase, Ohr um Ohr, Zahn um Zahn und (sonstige) Verletzungen durch Qisas (zu vergelten). Und wer darauf verzichtet, wird dies eine Kaffara für ihn sein. Und wer nicht danach richtet, was ALLAH hinabgesandt hat, diese sind die wirklichen Unrecht-Begehenden.“ (Zaidan)

Ein Vers weißt konkret auf die Strafe für Fitna hin:

Sure 5 Vers 33 „Die Bestrafung für diejenigen, die ALLAHs (Din) und Seinen Gesandten durch Muharaba bekämpfen und Verderben auf Erden anrichten, ist, daß sie getötet oder gekreuzigt oder daß ihre Hände und Füße wechselseitig abgetrennt oder des Landes verwiesen werden. Dies ist für sie Schmach im Diesseits. Und im Jenseits ist für sie übergroße Peinigung bestimmt.“ (Zaidan)

Wir können also sehen, dass auf Mord konkret die Todesstrafe steht. Jedoch besteht die Möglichkeit, dass die Todesstrafe ausgesetzt wird, sofern die Angehörigen des Getöteten dem Mörder vergeben, oder aber eine Geldstrafe wünschen, wobei die Vergebung ausdrücklich positiv bewertet wird.

Versehentlicher Mord:

Im Falle einer unabsichtlichen Tötung wird keine Todesstrafe angewandt:

Sure 4 Vers 92 „Und es gebührt nicht einem Mumin, einen anderen Mumin zu töten, es sei denn versehentlich. Und wer einen Mumin versehentlich tötet, (für den gilt) die Befreiung eines Mumin-Sklaven und eine an seine Angehörigen zu zahlende Diya , es sei denn, sie erlassen sie. Und wenn er (der Getötete) Leuten angehörte, die euch gegenüber feindselig eingestellt sind, aber er selbst Mumin war, dann (gilt) die Befreiung eines Mumin-Sklaven. Und wenn er (der Getötete) Leuten angehörte, mit denen ihr einen Vertrag habt, dann (gilt) eine an seine Angehörigen zu zahlende Diya und die Befreiung eines Mumin-Sklaven. Und wer (dies) nicht aufbringen kann, fastet an zwei aufeinanderfolgenden Monaten als Reue vor ALLAH. Und ALLAH bleibt immer allwissend, allweise.“ (Zaidan)

Körperstrafen:

Der Koran kennt Körperstrafen für Zina (Hurerei), Meineid, Diebstahl und Muharaba (Kriegszustand zwischen zwei Gruppen mit dem Ziel Unheil zu stiften, Terrorismus).

Diebstahl:

Sure 5 Vers 38 „Dem Dieb und der Diebin trennt die Hand ab, als Vergeltung für das, was sie sich erworben haben – eine Strafe von ALLAH. Und ALLAH ist allwürdig, allweise.“ (Zadian)

Obiger Vers läßt für verschiedene Gesellschaftmodelle die Strafe offen, da man die Begriffe „Hand“ (yadd) und „trennt“ (qataa) auch anders übersetzen kann. So ist es z.B. möglich anstatt mit „Hand“ auch mit „Macht“ zu übersetzen, was einer Gefängnisstrafe entsprechen könnte. Es ist offensichtlich, daß eine Gefängnisstrafe in einer Nomadengesellschaft eher wenig Sinn macht, in einer Gesellschaft, wie der heutigen jedoch durchaus möglich ist.
Ferner besteht die Möglichkeit „trennt“ nicht zwingend als „abtrennen“ zu verstehen, sondern als „einschneiden“.

Somit ergeben sich die folgenden Strafmaßnahmen:

1. Amputation
2. Gefängnisstrafe
3. Markierung

Der Koran überlässt es an dieser Stelle also dem Menschen unter der Prämisse der Gerechtigkeit verschiedene Strafen anzuwenden.

Zina:

Sure 24 Vers 2-9 „2 (Hinsichtlich) der Zina-Treibenden und des Zina-Treibenden, so peitscht jeden von ihnen mit hundert Peitschenschlägen. Und lasst kein Erbarmen beiden gegenüber (bei der Erfüllung) von ALLAHs Din euch ergreifen, solltet ihr den Iman an ALLAH und an den Jüngsten Tag verinnerlichen. Und eine Gruppe von den Mumin soll ihrer Peinigung beiwohnen!
3 Der Zina-Treibende heiratet nur eine Zina-Treibende oder Muschrika. Und die Zina-Treibende heiratet nur einen Zina-Treibenden oder einen Muschrik. Und dies wurde für die Mumin für haram erklärt.
4 Und diejenigen, die den keuschen Frauen (Zina) vorwerfen dann (dafür) keine vier (Augen-)Zeugen bringen, diese sollt ihr mit achtzig Peitschenschlägen peitschen und ihr Zeugnis niemals gelten lassen. Und diese sind die wirklichen Fasiq,
5 außer denjenigen, die danach bereuten und gottgefällig Gutes taten, dann ist ALLAH gewiß allvergebend, allgnädig.
6 Und diejenigen, die ihren Ehefrauen (Zina) vorwerfen und dafür keine Zeugen außer sich selbst haben, dann ist das Zeugnis eines von ihnen vier Bezeugungen bei ALLAH: „Gewiß, er ist zweifelsohne von den Wahrhaftigen.“
7 Und die fünfte (Bezeugung): „ALLAHs Fluch laste doch auf ihm, sollte er von den Lügnern gewesen sein.“
8 Und die Peinigung hält von ihr fern, daß sie bezeugt vier Bezeugungen bei ALLAH: „Gewiß, er ist zweifelsohne von den Lügnern.“
9 Und die fünfte (Bezeugung): „ALLAH
zürne ihr doch, sollte er von den Wahrhaftigen gewesen sein.“ (Zaidan)

Wichtig für die Beurteilung der Verse ist es zu wissen, was Zina ist: Zina ist der konkrete Geschlechtsverkehr mit einer Person, die einem nicht erlaubt ist. Dies bezieht sich sowohl auf Vaginalverkehr, als auch auf Analverkehr. Küssen und andere Zärtlichkeiten erfüllen nicht den Bestand der Zina. Formal schließt Zina also homosexuellen Geschlechtsverkehr mit ein, wurde aber interessanterweise von den frühen Gelehrten nie als Beweis für ein Verbot eines homosexuellen Verhaltens angeführt. Hierfür wurde der Begriff Liwat (Arschficken) benutzt. Es liegt daher nahe, daß die Definition des Begriffes Zina zur damaligen Zeit eine eingeschränktere war, als heute. Somit beziehen sich die obigen Verse nur auf Geschlechtsverkehr zwischen Mann und Frau. Eine Strafe für homosexuelles Verhalten ist daraus nicht abzuleiten.
Aus den Versen ist zu entnehmen, daß die Strafe für Zina 100 Peitschenhiebe sind. (Die Strafe für Sklaven ist die Hälfte -> Sure 4 Vers 45.) Diese Strafe kann jedoch nur umgesetzt werden, wenn vier Augenzeugen die Tat gesehen haben, was im Prinzip nur bei öffentlicher Zina der Fall sein kann. Es ist also ersichtlich, dass beim Strafmaß das Hauptaugenmerk auf dem Schutz der Gesellschaft liegt.
Anders beim privaten Verdacht der Zina: Hier ist keine Zeugenschaft gefragt, hier geht es lediglich darum, ob der Ehepartner, der dem anderen Zina vorwirft sich wirklich sicher ist, um so eine Scheidung auch wirklich zu legitimieren. Eine weltliche Strafe wird hierbei jedoch nicht angewandt.
Wichtig zu erwähnen ist noch, daß die 100 Peitschenhiebe gleichzeitig das Mindeststrafmaß für Vergewaltigung sind, allerdings wird ein konkretes Strafmaß diesbezüglich nicht erwähnt, sondern liegt in der Verantwortung des Menschen.

Meineid:

Um zu verdeutlichen, dass die Umsetzung der Strafe für Zina (s.o.) ein Schutz der Gesellschaft darstellt und um Übertriebene Verurteilungen zu vermeiden legt er 80 Peitschenhiebe für diejenigen an, die eine Bestrafung fordern, ohne die notwendigen Voraussetzungen zu erfüllen (Sure 24 Vers 4).

Muharaba:

Je nach dem Ausmaß der Muharaba kann die Strafe dafür zwischen Tod, Amputation und Abschiebung variieren. Dies kann man am Ausmaß der Tat festmachen. (Sure 5 Vers 33). Allerdings ist zu erwähnen, dass man bei der Umsetzung der Strafe nicht übertreiben sollte, dass eine der Prämissen (Bekämpfung Muhammads(sa)) in der heutigen Zeit nur im übertragenen Sinne stattfinden kann. Die Höchststrafe kann also nur in absoluten Härtefällen angewandt werden.

Ein weiterer Faktor ist, dass Sure 5 Verss nicht zwingend als Aufforderung zu verstehen ist, sondern mehr als Ablaufbeschreibung.

Sonstige Strafen:

Der Koran nennt für die folgenden Vergehen weitere Strafen:

1. Unsittliches Verhalten im allgemeinen durch Frauen
2. Unsittliches Verhalten im allgemeinen durch Männer

Sure 4 Vers 15-16 „Und diejenigen von euren Frauen, die das Abscheuliche betreiben, so bringt gegen sie vier Augen- zeugen von euch. Und wenn diese ein Zeugnis abgelegt haben, dann sperrt sie (die Frauen) in den Häusern ein, bis sie sterben oder ALLAH ihnen einen Ausweg macht. Und diejenigen von euch, die sie (die Unzucht) begehen, sollt ihr anprangern. Und wenn sie danach bereuen und gottgefällig Gutes tun, dann laßt von ihnen ab! Gewiß, ALLAH bleibt reue-annehmend, allgnädig.“ (Zaidan)

Das, was unsittlich ist, wird durch die Gesellschaft bestimmt. Dringt dieses Abscheuliche an die Öffentlichkeit (siehe die vierfache Zeugenschaft) , so erhalten Frauen lebenslangen Hausarrest, es sei denn Allah zeigt ihnen einen Ausweg (z.B. durch Reue).
Männer hingegen sollen bestraft werden. Der Grund dafür ist der, daß Männer in einer islamischen Gesellschaft arbeiten müssen, um die Familie zu ernähren, während Frauen eben dies nicht müssen. Es wäre ungerecht, die Familie durch einen Hausarrest des Mannes in eine Notlage zu bringen.

Es ist zu erwähnen, daß an dieser Stelle die Übersetzung durch Zaidan nicht die einzig mögliche ist. Es iit empfohlen hier verschiedene Übersetzungen zu vergleichen. Dadurch wird klar, daß der Text eine weite breite an Deutungen zuläßt, was verdeutlicht, daß das Strafmaß bzw. die Tat an der Gerechtigkeit gemessen werden muß und nicht per se festgelegt werden kann.

Interessant ist an dieser Stelle, dass in Vers 15 Abscheulichkeiten gemeint sein müssen, die Frauen unter sich betreiben, da sich dieser Vers nur an die Frauen richtet und im Plural formuliert ist (>3), während sich Vers 16 auf Abscheulichkeiten bezieht, die man zu zweit begeht (Dual, Maskulinum schließt im arab. Mann und Frau mit ein, es bezieht sich somit auf Abscheulichkeiten zwischen zwei Frauen, zwei Männern und Mann und Frau), also beispielsweise Ehebruch bzw. Unzucht. Es ist also ggf. auf Sure 24 Vers 2-9 zu achten, ob ein solcher Fall vorliegt. In anderen Fällen obliegt das Strafmaß der Gesellschaft.

Der Begriff Fahischa, der hier mit „Abscheulichkeiten“ übersetzt wurde kann je nach Kontext eine andere Bedeutung annehmen.

In Sure 4 Vers 25 „Und wer von euch es sich nicht leisten kann, freie Mumin-Frauen zu heiraten, dann (heiratet er) von den Mumin-Dienerinnen, die euch gehören. Und ALLAH kennt euren Iman besser – die einen von euch sind wie die anderen. So heiratet sie mit der Zustimmung ihrer Angehörigen und gebt ihnen ihre Morgengabe nach dem Gebilligten als Ehefrauen und nicht als Unzucht-Treibende und nicht als diejenigen, die sich Geliebte nehmen. Und wenn sie (die Mumin-Dienerinnen) verheiratet sind und dann Unzucht begehen, dann ist ihnen die Hälfte des Strafmaßes auferlegt, das für freie Frauen vorgesehen ist. Dies ist für denjenigen von euch, der fürchtet, ansonsten Schädlichkeit (Unzucht) zu begehen. Und wenn ihr euch in Geduld übt, ist es besser für euch. Und ALLAH ist allvergebend, allgnädig.“ (Zaidan)

finden wir eine Einschränkung der Strafen für Fahischa. Demnach sollen ehemalige Sklavinnen, die nun verheiratet sind die Hälfte des Strafmaßes erhalten, die freie Frauen erhalten würden. Aus dem Kontext des Verses wird ersichtlich, dass es sich dabei um Ehebruch handeln muss, da Fahischa in demselben Vers näher definiert wird.

Wieso legt der Koran für einige Vergehen Strafen fest, für andere nicht?

Der Koran fordert vielfach zu Gerechtigkeit und zum Gebrauch der Vernunft auf. Jedoch ist es dem Menschen nicht möglich ohne Richtlinien gerecht und vernünftig zu urteilen. Es braucht also Präzedenzfälle, aus denen man verschiedenes Bestimmungen ableiten kann. Die im Koran genannten Bestimmungen ermöglichen genau dies, indem sie verschiedene Möglichkeiten begreiflich machen, wodurch man mit sehr wenigen konkreten Bestimmungen ein flexibles Rechtssystem aufbauen kann, das sich den Bedürfnissen des jeweiligen historischen Kontexts anpassen kann, ohne von diesem außer Kraft gesetzt zu werden.Dieses basiert auf den folgenden Eckpunkten: Öffentliches Ärgernis, Diebstahl, Unruhen bis hin zu Bürgerkrieg bzw. Terrorismus, Sexualdelikte, Mord und Meineid. Diese stehen unter den Prämissen der Vernunft und Gerechtigkeit.

 

Quellen:

Koranübertragung durch A. Zaidan
Liwat im Fiqh
Strafjustitz und Gerechtigkeit

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