Nicht zu unterschätzende Gefahren

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Die „Ohlig-Luxenberg“-Debatte und die Islamwissenschaften. Wohin entwickelt sich diese aktuelle Kampagne?

(iz). Der islamwissenschaftliche Diskurs des Westens bewegt sich zunehmend in Extremen – in der seit einigen Jahren andauernden „Ohlig-Luxenberg“-Debatte wird sogar die Historizität der Person Mohammeds bestritten. Den besagten Diskurs hatte der Saarbrücker Religionswissenschaftler Karl-Heinz Ohlig mit seiner These ausgelöst, dass Mohammed als geschichtliche Person erst im 9./10. Jahrhundert im Zuge einer nachträglichen Geschichtsschreibung erfunden wurde.1 Dieser These zufolge waren die arabischen Eroberer ursprünglich Christen gewesen – Ohligs Mitstreiter Christoph Luxenberg will denn auch mit sprachhistorischen Analysen die christlichen Wurzeln des Korans beweisen.2 Bei dem Namen Chris­toph Luxenberg handelt es sich im übrigen um ein Pseudonym – es wird angegeben, dass es sich um einen christlichen Geistlichen aus dem Irak handelt. Die von Ohlig vorgelegten „Beweise“ für seine Thesen halten einer kritischen Überprüfung nicht stand. So versucht der Saarbrücker Professor seine Behauptungen durch arabische Münzen mit christlichen Symbolen zu untermauern. Diese Argumentation wird allerdings von Numismatikern wie Stefan Heidemann entschieden widersprochen. Heidemann hat darauf ver- wiesen, dass die Araber in der „Frühzeit“ vielfach christliche Münzen kopierten und daraus deshalb keinesfalls Ohligs Konstruktion einer „christlichen“ islamischen Frühzeit gefolgert werden kann.3

Ibn Ishaq hat seine Mohammed-Biographie bekanntlich etwa im Jahr 750 ­begonnen, Ohlig zufolge wurde die Person Mohammeds allerdings erst im 9./10. Jahrhundert „konstruiert“. Von einem renommierten Islamwissenschaftler sollte man schon etwas bessere Kenntnisse erwarten dürfen. Weiterhin sind viele Zeitgenossen Mohammeds (wie etwa Aischa als Heerführerin) his­torisch zweifelsfrei nachweisbar. Im Abendland beschäftigte sich der ca. 750 verstorbene Theologe Johannes von ­Damaskus in seinem Buch der Häresien mit Mohammed, den er als falschen Propheten, der sein Wissen von einem Anhänger des Arius erhalten haben soll, betrachtete.4 Auch in Europa setzte man sich also bereits lange vor der von ­Ohlig angegebenen Zeit mit der Person des ­islamischen Religionsstifters auseinander. Gerade daran zeigt sich auch die Unhaltbarkeit der geschilderten Behauptungen: Es ist völlig ausgeschlossen, dass die mittelalterliche christliche Polemik die nachträgliche Konstruktion einer Religionsgeschichte nicht schon bei geringstem Verdacht aufgegriffen hätte.

Um so merkwürdiger mutet es an, dass die Behauptungen Ohligs offenbar auch von einigen im Westen lebenden islamischen Gelehrten unkritisch übernommen werden. So hat der im Jahr 2004 auf den „Lehrstuhl für Religion des Islam“ berufene Muhammad Kalisch während einer Ringvorlesung im gleichen Jahr die Auffassung vertreten, dass die ersten Jahrhunderte der islamischen Geschichte erfunden seien und die ­Geschichtlichkeit der Person Mohammeds nicht sicher sei. Es ist pikant, dass es sich hier um einen erst kürzlich für die Ausbildung von muslimischen Religionslehrern an öffentlichen Schulen berufenen Professor a. Ist der Glaube bei solchen Muslimen so schwach beziehungsweise die Zweifel so stark, dass sie ihr Denken von derartigen Behauptungen beeinflussen lassen? Oder handelt es sich vielmehr um einen unter dem Deckmantel einer historisch-kritischen Herangehensweise vorgetragenen Angriff auf den Islam? Eigentlich sollten doch ernsthafte Wissenschaftler beispielsweise durch ihre Kenntnisse der ­islamischen Hadithwissenschaften gegen solche abstrusen Thesen immunisiert sein.

Karl-Heinz Ohlig und seine Anhänger lehnen die gesamte arabisch-islamische Überlieferung in ihrer ganzen Vielschichtigkeit komplett ab. Wer sich näher mit der islamischen Hadith-wissenschaft beschäftigt hat sollte wissen, dass diese Wissenschaft mit allergrößter Genauigkeit den „Isnad“ (die Überliefererkette) überprüft – Namen und Leben der die Propheten- oder Imamworte überliefernden Person werden genau unter die Lupe genommen. Professor Gibb hat dazu ausgeführt: „Die Auswertung dieser biographischen Unterlagen zum Zweck der Hadith-Kritik bildete den Gegenstand eines eigenen Studienfachs, das die Bezeichnung ‘Wissenschaft von der Widerlegung und Rechtfertigung’ erhielt. Dieses befasst sich mit der ­Vertrauenswürdigkeit der Gewährsmänner einer jeden Überlieferung, mit ihren moralischen Qualitäten, ihrer Aufrichtigkeit und ihrem Erinnerungsvermögen … In der Geschichte der islamischen Wissenschaften entwickelte sich die Hadith-Kritik zu einer Disziplin, die mit immer peinlicherer Genauigkeit ­betrieben wurde.“5

Man sollte sich auch vergegenwärtigen, dass es gerade die Aufgabe der Hadith-Wissenschaften ist Fälschungen ausfindig zu machen. Said Ramadan hat ­daher darauf hingewiesen, dass „die Exis­tenz dieser Hadith-Wissenschaft … es jedem gewissenhaften muslimischen Gelehrten unmöglich“ macht, “die Art und Weise, in der die meisten westlichen Autoren die Sunna behandelt haben, hinzunehmen. Denn, so schreibt Professor Nallino, ‘sie haben sich auf ganz allgemein gehaltene Behauptungen beschränkt, die eher auf Vermutungen und Wahrscheinlichkeitsberechnungen beruhen als auf einem gründlichen Studium.’ Professor Vesey-Fitzgerald lehnt beispielsweise einen Hadith, der von allen Fachleuten als echt anerkannt worden ist, mit der recht oberflächlichen Begründung ab, dass er in ‘seiner gefällig formulierten Genauigkeit’ in etwa ‚einem kirchlichen Katechismus oder einem Gesetzbuch’ gleiche – und daher – ‘nicht überzeugend’ sei.“6 In der westlichen Islamwissenschaft wird auch häufig ignoriert, dass die ­bekannten Hadith- sammlungen nicht die ersten in Verbindung mit der ­Sunna schriftlich fixierten Dokumente darstellen.7

Alles in allem kann man sich des Eindruckes nicht erwehren, dass sich die Diskrepanz zwischen den okzidentalen und orientalischen Islamwissenschaften verschärft. Im Westen scheint das Bemühen vorzuherrschen, nach einer „Bibelkritik“ auch eine „Korankritik“ zu entfalten. Wie in der Anfangszeit der „Leben-Jesu-Forschung“ soll auch die Geschichtlichkeit des islamischen Religionsgründers und seiner Gefährten in Frage gestellt werden.

Man sollte sich dabei vergegen­wärtigen, dass das Christentum durch die ­„Leben-Jesu-Forschung“ und die ­historisch-kritischen Bibelwissenschaft in eine ernste Krise geraten ist. Die kritische ­Bibelwissenschaft hatte das landläufige Bild von Jesus als einem göttlichen ­Erlöser erschüttert, indem sie dem ­„Jesus des Glaubens“ die historische Person Jesu gegenüber- gestellt hat. Papst Benedikt XVI. betrachtet diese Entwicklung mit Sorge, sein jüngstes „Jesus“-Buch soll gerade der Erschüt­terung des traditionellen Jesus-Bildes durch die historisch-kritische Bibel­wissenschaft entgegenwirken: „Der Riss zwischen dem ‘historischen Jesus’ und dem ‘Christus des Glaubens’ wurde ­immer tiefer, beides brach zusehends auseinander. Was aber kann der Glaube an Jesus den Sohn des lebendigen Gottes bedeuten, wenn eben der Mensch Jesus so ganz anders war, als ihn die Evangelien darstellen und als ihn die Kirche von den Evangelien her ­verkündigt? Die Fortschritte der ­­his­torisch-kritischen Forschung führten zu immer weiter verfeinerten Unter­schei­dungen zwischen Traditionsschichten, hinter denen die Gestalt Jesu, auf den sich doch der Glaube bezieht, ­immer undeutlicher wurde, immer mehr an Kontur verlor …. Als Ergebnis all ­dieser Versuche ist der Eindruck zu­rück­ge­blieben, dass wir jedenfalls wenig ­Sicheres über Jesus wissen und das der Glaube an seine Gottheit erst ­nach­träglich das sein Bild geformt habe. ­Dieser Eindruck ist inzwischen weit ins ­allgemeine Bewusstsein der Christenheit vorgedrungen. Eine solche Situation ist dramatisch für den Glauben, weil sein ­eigentlicher Bezugspunkt unsicher wird …“8

Die Gefahr, die von einer im Westen im Stile Ohligs und Luxenbergs vorgetragenen „Korankritik“ ausgeht, sollte daher nicht unterschätzt werden – es zeigt sich ja bereits, dass selbst muslimische Gelehrte von diesen Thesen nicht unbeeindruckt bleiben. Es gilt hier deutlich zu machen, dass gerade der Islam wie keine andere Religion von Anfang an dokumentiert ist und (mit dem Koran) eine authentische und direkte Offenbarung besitzt. Es ist darauf hinzuweisen, dass die historisch-kritische Methode in der Islamwissenschaft bereits angewendet wird. Die Glaubwürdigkeit der Sunna kann belegt werden und die Erkenntnisse der islamischen Hadithwissenschaften müssen in die westliche Debatte getragen werden.


1 Vgl. Ohlig, Karl-Heinz und Puin, Gerd-R.: Die dunklen Anfänge. Neue Forschungen zur Entstehung und frühen Geschichte des Islam, Berlin 2005 und Ohlig, Karl-Heinz (Hg.): Der frühe ­Islam, Berlin 2007
2 Vgl. Luxenberg, Christoph: Die syro-aramäische Lesart des Koran, Berlin 2000
3 Heidemann, Stefan: „Münzen sind konservativ“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung FAZ.NET vom 22.7.2008
4 Vgl. Bobzin, Hartmut: Mohammed, München 2002
5 Gibb, Sir Hamilton: Mohammedanism 1955 (2. Aufl.), S. 66
6 Ramadan, Said: Das islamische Recht 1996, S. 52
7 Eine Zusammenstellung findet man ebenda, S. 50 f.
8 Ratzinger, Joseph/Benedikt XVI.. Jesus von Nazareth 2007, S. 10 f.

Quelle

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