Religionsfreiheit aus islamischer Sicht – Ahmad v. Denffer

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Lassen Sie mich mit der einleitenden Feststellung beginnen, daß es  aus islamischer Sicht Religionsfreiheit nicht nur gibt, sondern geben muß. Freiheit, sich für oder gegen ein Bekenntnis entscheiden zu können, ist nämlich Voraussetzung für die Verantwortlichkeit des Menschen für sein gesamtes Handeln, und diese Verantwortlichkeit ist ein Kernelement der islamischen Lehre vom Leben nach dem Tod. Aber zweifellos ist es so, daß Religionsfreiheit im Islam anders formuliert ist als in anderen Religionen und Weltanschauungen, und wenn auch Gemeinsamkeiten bestehen mögen, hat doch der Islam seine ganz eigene Betrachtungsweise auch dieser Frage.

Religionsfreiheit sieht man aus der Sicht des Muslims unter zwei Gesichtspunkten, die ich Ihnen im Einzelnen vorstellen werde: Nämlich erstens die Freiheit, eine bestimmte Religion zu wählen, und zweitens die Freiheit, eine bestimmte Religion auch auszuüben.

Aber Freiheit, und somit auch Religionsfreiheit, bedeutet zugleich Verantwortung. Wer etwas wählt, ist für die Folgen verantwortlich, wer etwas tut, ebenso. Die Frage der Religionsfreiheit und der damit verbundenen Verantwortung berührt also auch das Thema Freiheit über­haupt. Vielleicht wird es uns gelingen, auch darauf etwas Licht zu werfen und zu fragen: Welche Rolle, welche Verantwortung, welche Aufgabe hat der religiöse Mensch – in unserem Rahmen der Muslim und der Christ – im Hinblick auf die Freiheit und die Religionsfreiheit nicht nur als abstraktes Prinzip, sondern als eine alltägliche Wirklichkeit hier und heute.

la ikraha fi-d-din – „Kein Zwang im Glauben“, so lautet in der dem Heiligen Koran eigenen prägnanten Weise der zentrale Vers aus der Heiligen Schrift des Islam für unser Thema. Es  handelt sich um Vers 257 aus der zweiten Sure. Der voll­ständige Text lautet in deutscher Übertragung: „Kein Zwang im Glauben. Rechtleitung ist bereits vom Abirren klar unterschieden, und wer die Götzen leugnet und an Allah glaubt, hat sich an die stärkste Handhabe gehalten, bei der kein Spalt ist, und Allah ist hörend und wissend.“

Dieser Vers enthält, wie auch viele andere Koranverse, eine Mehrzahl von Bedeutungen, von denen zwei am offensichtlichsten sind: 1. Es gibt keinen Zwang im Glauben, d.h. faktisch gibt es das nicht, kann es nicht geben. Kein Mensch kann zum Glauben gezwungen werden. 2. Es gibt keinen Zwang im Glauben mit der Bedeutung: Es darf keinen Zwang zum Glauben geben – und im Anschluß daran die Fortführung des Gedankens „Rechtleitung und Abirren sind klar voneinander unterschieden“, usw., worauf wir im hiesigen Zusammenhang aber nicht weiter eingehen werden.

Hier sind wir Muslime, im Vergleich zu manch anderer Religion, in einer zwiefach glücklichen Lage, al-hamdu li-llah. Als Erstes können wir sagen: Die Frage der Religionsfreiheit, der Glaubensfreiheit, ist eine Frage, die in unserer Heiligen Schrift direkt und unmittelbar angesprochen wurde. Sie ist ein Thema des Korans. Es gibt eine Textstelle, die sich direkt darauf bezieht, und wir sind deshalb nicht gezwungen, durch Ableitungen, Analogien und andere Methoden unsere Schlüsse zu ziehen und zu einem Ergebnis zusammen zu fassen, dem dann nach all unserer Mühe andere, die sich ebenfalls solcher Mühe unterzogen, widersprechen, weil sie mangels eines dalil oder nass – so heißt in unserem Sprachgebrauch die für die Frage relevante Textstelle – zu einem anderen Schluß kamen. Zweitens  kennen wir für diesen Koranvers – wie für viele andere auch – den sogenannten „Sitz im Leben“, d.h. wir wissen, in welchem Zusammenhang er zum ersten Mal verkündet wurde, was der „Anlaß der Offenbarung“ war, und wie er von denen, die ihn zum ersten Mal hörten, verstanden wurde. Diese Kenntnisse sind für eine zuverlässige Auslegung unabdingbare Voraussetzungen.

An-Nisaburi (gest. 468  nach der hidschra) schreibt in seinem Standardwerk „asbab an-nuzul“ (Die Anlässe der Offenbarung) hinsichtlich des Verses „Kein Zwang im Glauben“ folgendes: Eine Frau von den ansar machte ein Gelübde, daß sie, wenn sie einen Sohn haben würde, diesen zum Juden machen wolle, woraufhin, als er unter den Juden aufgewachsen war, die ansar wie auch die Juden sagten, er gehöre zu ihnen. Da wurde der Vers offenbart: „Kein Zwang im Glauben“, und Said bin Dschabir fügte (erläuternd) hinzu: „Und wer will, bleibt bei ihnen, und wer will, kommt zum Islam.“

Mudschahid, ein Koranexeget der 2. Generation, sagte zu diesem Vers: „Dieser Vers wurde hinsichtlich eines Mannes herabgesandt, der zu den ansar gehörte, der einen Knecht hatte, den er zum Islam zwingen wollte.“

Nach einem dritten Bericht, ebenfalls bei Nisaburi, handelte es sich um einen Mann, der zwei Söhne hatte. Diese waren von syrischen christlichen Kaufleuten zum Christentum gebracht worden und mit diesen Kaufleuten nach Syrien gezogen, und der Mann verlangte, daß sie vom Christentum ablassen sollten.

Nach diesen Berichten besteht also kein Zweifel, daß zu Lebzeiten des Propheten Muhammad (s) dem einzelnen Menschen die Freiheit zugestanden wurde, selbst zu entscheiden, welcher Religion er angehören will – und das ist ein wesentliches Element der Religionsfreiheit.

Ein Einwand, der dem Islam gegenüber immer wieder gemacht wird – und es ist bei weitem nicht der einzige Einwand – besteht darin, daß es dort, wo der Islam vorherrscht, keine Religionsfreiheit geben könne, weil der Abfall vom Islam, d.h. wenn ein Muslim seine Religion verläßt und eine andere, z.B. das Christentum annimmt, mit dem Tode bestraft würde. Schauen wir uns diese Frage nun aber einmal sachlich und ohne große Emotionen an. Von der Freiheit zur Entscheidung, einen Glauben anzunehmen, haben wir bereits gesprochen. „Kein Zwang im Glauben“, heißt die Maxime. Also – wenn sie gültig ist – kann es im Islam keinen Glaubenszwang geben. Die Androhung der Todesstrafe andererseits ist nichts anderes als ein Zwangsmittel, und zwar das äußerste Zwangsmittel, das den einzelnen Menschen betreffen kann. Wie erklärt sich dieser Widerspruch?

Es ist ganz einfach: Es ist kein Widerspruch, sondern ein Mißverständnis. Mangelnde Sachkenntnis hat viele oberflächliche Betrachter des Islam – und dazu gehören nicht nur Nichtmuslime, sondern leider auch Muslime – hat viele oberflächliche Betrachter des Islam zu der Auffassung gebracht, der Islam bestrafe die Abkehr vom Glauben mit dem Tod. Das ist nicht zutreffend. Es ist richtig, daß es im islamischen Recht die Todesstrafe gibt, und zwar bei bestimmten Kapitalverbrechen, nämlich Mord (wobei den Angehörigen des Opfers freigestellt ist, auf die Todesstrafe zu verzichten und statt dessen ein Blutgeld anzunehmen), bei Ehebruch und bei Hochverrat. Für den murtad, d.h. die Person, die den Glauben verläßt, gibt es keinen Koranvers, der dafür eine Strafe vorsieht – geschweige denn die Todesstrafe. Zweifellos ist es aber so, daß in der islamischen Geschichte manchmal Menschen getötet wurden, die den Islam verlassen hatten. Aber in solchen Fällen waren es andere Gründe, die zu ihrem Tod geführt haben. Große islamische Gelehrte, darunter Imam Malik und Imam Ahmad ibn Hanbal, auch Abu Hanifa und sogar der bei den Modernisten als „urkonservativ“ verschrieene Ibn Taimijja vertreten die Ansicht, Krieg gegen die Ungläubigen, d.h. sie mit dem Tod bedrohen, habe nichts mit ihrem Unglauben zu tun, sondern ist nur dann erlaubt, wenn sie den Muslimen Schaden zufügen. Krieg ist ein Mittel der Selbstverteidigung, aber nicht der Verbreitung des Glaubens. Derselbe Ibn Taimijja sagt, der Koranvers „Kein Zwang im Glauben“ ist von allgemeiner Tragweite und nicht etwa durch spätere Offenbarungen wie die über Krieg zwischen Muslimen und Ungläubigen aufgehoben (risalatu-l-qital).

Der berühmte Koranexeget Zamachschari stützt seine Meinung, daß niemand zum Glauben gezwungen werden könne und dürfe, auch nicht der murtad, durch Heranziehen des folgenden Koranverses: „Und wenn dein Herr gewollt hätte, so würden alle auf der Erde insgesamt gläubig werden. Willst du  etwa die Leute zwingen, gläubig zu werden?“ (10:100)

Nun gibt es aber zweifellos das Wort des Propheten Muhammad (s): „Wer die Religion verläßt, den tötet.“ (Buchari). Dieses Wort des Propheten (s)  steht aber nicht isoliert, sondern ist im Zusammenhang mit anderen seiner Anweisungen und Verhaltensweisen zu sehen, bevor man daraus Schlüsse ziehen kann. Studiert man die Lebensgeschichte des Propheten (s), kommt man zu der Einsicht, daß in den wenigen Fällen, wo jemand zu Tode kam, nachdem er den Islam verlassen hatte, dies geschah, weil die betreffende Person sich zugleich auf die Seite der Feinde der Muslime schlug und den Muslimen den Krieg erklärte. Mit anderen Worten: Todesstrafe bei Hochverrat – ja, Todesstrafe als Mittel zur Zwangsbekehrung – nein.

Ein sehr deutliches Beispiel ist der Fall einer Frau namens Umm Furqah, über die der Kalif Abu Bakr die Todesstrafe verhängte. Sie hatte den Islam verlassen und zugleich ihre zahlreichen Söhne zum Krieg gegen die Muslime aufgehetzt. Der wahre Grund für die Todesstrafe ist also muhaaraba, kriegerische Feindschaft, und nicht irtidad, Abfall vom Glauben.

Betrachten wir noch einen zweiten Koranvers, Vers 6 der Sure 9. Er steht im Zusammenhang einer Reihe von Versen, die Regeln für den Krieg aufstellen, den es zwischen Muslimen und Nichtmuslimen geben kann. Die Einzelheiten wollen wir uns im Moment sparen, aber es ist wichtig, den Kontext zu bedenken: Regeln für Krieg zwischen Muslimen und Nichtmuslimen. Hier heißt es, was die Frage der Religionsfreiheit betrifft, im Heiligen Koran: „Und wenn einer, der Mitgötterei treibt, Zuflucht bei dir sucht, dann gib ihm Zuflucht, damit er Allahs Wort vernimmt. Dann laß ihn den Ort seiner Sicherheit erreichen – dies, weil sie unwissende Leute sind.“ (9:6)

Die Sache ist klar: selbst bei einer kriegerischen Auseinandersetzung darf niemand gezwungen werden, seinen Glauben abzulegen. Vielmehr ist er, nachdem er vom Islam gehört hat, in seine Heimat zu entlassen, den Ort, wo er sicher ist, und dort kann er sich dann allenfalls entscheiden, den Islam anzunehmen, von dem er gehört hat – wenn er das will. Diese Entscheidung findet aber – wenn überhaupt – vollkommen freiwillig statt, an einem Ort, wo die betreffende Person sie selbst, ohne Zwang oder den Druck von Umständen, treffen kann.

Mit anderen Worten: Zwangsbekehrung ist im Islam unbekannt und jeder Versuch, so etwas vorzunehmen, wird vom Islam aufgrund klarer Aussagen seiner Heiligen Schrift strikt abgelehnt. So viel zur Frage der individuellen Glaubensentscheidung, der Freiheit zum Glauben.

Religionsfreiheit hat darüber hinaus noch eine andere wichtige Dimension, nämlich die Freiheit, seinen Glauben auch auszuüben, die Freiheit des Kultus, des Gottesdienstes usw. Hierzu gibt es ebenfalls aus der Zeit des Propheten Muhammad (s) ganz klare Maßgaben, die wir uns kurz vor Augen führen wollen.

Wie verhält es sich nun mit der zweiten Seite der Religionsfreiheit, nämlich der freien Ausübung? Auch hier gibt uns der Koran klare Anweisungen. In der 22. Sure heißt es im 40. Vers: „Gewähr ist denen gegeben, die bekämpft wurden, weil ihnen Gewalt angetan wurde, und Allah hat die Macht, ihnen beizustehen. Jene, die schuldlos aus ihren Wohnungen vertrieben wurden, nur weil sie sagen: Unser Herr ist Allah. Und wenn nicht Allah es den einen Menschen durch die anderen verwehrte, so wären Klöster, Kirchen, Bethäuser (Synagogen) und Moscheen, in denen Allahs Name genannt wird, zerstört.“

Der Zusammenhang ist klar: Den Muslimen, die sagen: Unser Gott ist Allah, wird hier erlaubt, sich gegen Gewalttaten auch mit Gewalt zur Wehr zu setzen. Für unser Thema von Bedeutung ist aber die präzise Aussage des Korans, daß es nach Allahs Willen keine Zerstörung von Gotteshäusern, wie Kirchen, Synagogen und Moscheen geben darf. Die islamische Lehre vom Krieg, auf die ich hier nicht näher eingehen kann, bewegt sich innerhalb bestimmter Grenzen. Eine dieser Grenzen ist die Religionsfreiheit, die Freiheit auch anderer Religionen, ihren Kultus in ihren Gotteshäusern auszuüben. Und Allah läßt es nicht zu, daß diese Gebetsstätten zerstört werden, ja, Allah setzt die Menschen geradezu dafür ein, daß diese Gebetsstätten erhalten bleiben, und damit die Möglichkeit, nach der eigenen Weise die eigene Religion auszuüben.

Wie hat sich nun diese koranische Maßgabe in der islamischen Geschichte ausgewirkt? Es ist durchaus möglich, daß man sich nicht immer und überall daran gehalten hat, aber das bedeutet nicht, daß diese Maßgabe deshalb ungültig oder außer Kraft gesetzt wurde. Sie besteht, wie alle übrigen koranischen Maßgaben, bis heute, und sie hat auch in der islamischen Geschichte ihren Niederschlag gefunden. Ich kann hier nur ein Beispiel anführen, aber es ist ein wichtiges Beispiel, zudem höchst aktuell. Es betrifft nämlich die Stadt Jerusalem, die heute Gegenstand der Auseinandersetzungen verschiedener Parteien ist, wobei auch die Religionen eine Rolle spielen. Diese Stadt wurde im Jahre 638, d.h. 6 Jahre nach dem Ableben des Propheten Muhammad (s) von den Muslimen eingenommen, ohne Blutvergießen übrigens, denn die Stadt ergab sich kampflos. Daraufhin erließ der Befehlshaber der Muslime, der Kalif Umar, eine Art Grundvertrag zwischen den Muslimen und den Einwohnern der Stadt Jerusalem. Ich zitiere daraus einige für unser Thema bedeutsame Sätze:

„Im Namen Allahs, des Erbarmers, des Barmherzigen. Dies ist der Vertrag, den Umar, der Knecht Allahs, der Befehlshaber der Gläubigen, den Bewohnern von Jerusalem gewährt. Er bietet ihnen Sicherheit des Lebens, des Eigentums, der Kirchen und der Kreuze … In Sachen der Religion unterliegen sie keiner Einschränkung und keiner von ihnen darf belästigt werden … die Einwohner der Stadt entrichten die dschizja-Steuer …“

Mit anderen Worten: Wo sich die Nichtmuslime den Muslimen gegenüber friedfertig verhielten, gab es in Fragen der Religionsausübung keine Einschränkungen. Deshalb haben ja verschiedene Religionen in Jerusalem bis zur Zeit der Kreuzzüge, und z.B. in Andalusien bis zur reconquista in friedlichem Einvernehmen unter muslimischer Oberhoheit zusammenleben können. Da kann man sich doch nur wünschen, daß z.B. für Palästina ein entsprechender Zustand des Friedens und der Freiheit wieder erreicht werden kann. Bisher war das aber, so beweist es die Geschichte, nur unter muslimischer Souveränität möglich.

Hiermit komme ich zum dritten und wichtigen Komplex der Frage nach der Religionsfreiheit und berühre nun auch einige praktische Dinge. Meine Leitfrage lautet dabei: Wie verhält es sich mit der Religionsfreiheit und der Freiheit überhaupt gegenüber einer Gemeinschaft wie die der Muslime, die durch ihre Religion zu einem Höchstmaß an Toleranz und Freiheit des Einzelnen wie der Religion erzogen werden? Wie begegnet man solchen Menschen in der Bundesrepublik? Damit wir uns nicht mißverstehen: Die entsprechenden Grundgesetzartikel sind bekannt und werden von uns Muslimen begrüßt. Aber wir sehen uns in einer Lage, in der sich die Verfassungsnorm von der Realität gewaltig unterscheidet. Ich will dies an nur zwei Beispielen aufzeigen:

Das Tierschutzgesetz in seiner Neufassung, veröffentlicht im Bundes­gesetzblatt mit Datum vom 22.8.86 sieht in § 4 a Abs. 2 das Schlachten ohne Betäubung (Schächten) mit Ausnahmegenehmigung vor, wenn „es erforderlich ist, den Bedürfnissen von Angehörigen bestimmter Religionsgemeinschaften im Geltungsbereich dieses Gesetzes zu entsprechen, denen zwingende Vorschriften ihrer Religionsgemeinschaft das Schächten vorschreiben oder den Genuß von Fleisch nicht geschächteter Tiere untersagen.“

Das Bayerische Staatsministerium des Inneren verweigert aber für Muslime eine derartige Ausnahmegenehmigung und meint sich befugt, darüber zu entscheiden, ob Schächten für Muslime ein religiöses Erfordernis ist oder nicht. Bis zu einer Gerichtsentscheidung will man den Muslimen also weiter die freie Ausübung ihrer Religion – zumindest in diesem Teilbereich – verweigern (Az. IES-5594;2/46/86). Eine entsprechende Haltung vertritt auch das Ministerium für Ernährung Baden-Württembergs, das für das nicht genehmigte Schächten sogar mit einer Geldbuße bis zu DM 50 000 sowie Freiheitsstrafe bis zu 2 Jahren droht (Az. 34-9185. 05/8).

Das zweite Beispiel betrifft den Islamischen Religionsunterricht an deutschen Schulen. Obwohl die Rechtslage eindeutig ist und die Inhalte des Religionsunterrichts immer nur von der betreffenden Religionsgemeinschaft festzulegen sind, haben verschiedene Kultusministerien in der Bundesrepublik, darunter Nordrhein-Westfalen, Hamburg und wieder Bayern eigenmächtig Lehrpläne entwickelt und in den Schulen eingeführt, teilweise ohne überhaupt die in der Bundesrepublik ansässigen Muslime zu konsultieren. Die Aufgabe der Kultusbehörden besteht aber lediglich darin, zu prüfen, ob die von der Religionsgemeinschaft vorgegebenen Unterrichtsstoffe in den Rahmen der öffentlichen Schule passen. Stattdessen hat das Bayerische Kultusministerium inzwischen in Zusammenarbeit mit einer ausländischen Staatsbehörde – dem Diyanet der Türkei bzw. dessen Beauftragten in Bayern – und unter Zuziehung christlicher Religionspädagogen an den in Bayern ansässigen Muslimen vorbei einen Lehrplan entwickelt, der bereits im Amtsblatt veröffentlicht ist und in den Schulen für türkische Kinder auch durchgeführt wird. Das würde man sich in der Bundesrepublik mit einer anderen Religionsgemeinschaft, z.B. der jüdischen, niemals erlauben.

Nun lasen Sie mich zum Abschluß folgende Frage stellen: Woran liegt es wohl, daß wir Muslime hier in einer so mißlichen Lage sind? Es liegt nicht an uns Muslimen, denn die Bestimmungen des Grundgesetzes über Religionsfreiheit und freie Ausübung der Religion wurden nicht unseretwegen gemacht – und auch nicht (noch nicht?) unseretwegen abgeändert. Sie gelten für alle Menschen. Die Frage der Religionsfreiheit und der in Wirklichkeit damit verbundenen Einschränkungen gilt für alle Menschen. Nicht nur wir Muslime leiden, auch andere leiden, die sich nicht „konform“ verhalten. Nehmen wir das Beispiel von der Turnhose, vom Kopftuch will ich gar nicht reden. Da muß eine Familie vor dem Verwaltungsgericht klagen, damit sie in einer Lappalie wie der Frage der Sportbekleidung in der Schule ihrer Religion treu sein kann. Es handelt sich dabei übrigens nicht um eine muslimische, sondern eine christliche Familie. Gott sei Dank ist es noch so, daß bei derartigen Gerichtsverfahren (dieses wurde vom Verwaltungsgericht München entschieden) dann meist dem Recht auf freie Religionsausübung stattgegeben wird. Doch die vielen Beispiele zeigen, daß der Verwaltungsapparat, die Behörden und politischen Machthaber sich fast immer gegen die Religionsfreiheit verhalten. Das aber ist ein ganz grundsätzliches Problem in unserer Gesellschaft, das viele, darunter auch Christen und Muslime, mit zunehmendem Schrecken beobachten: Die Einschränkung und Beschneidung der Freiheit überhaupt, und damit auch der Religionsfreiheit, in unserer Gesellschaft durch Beamte und Politiker, die Medien und das Geld und manche andere Faktoren.

Gewiß ist es so, daß den Muslimen ihre Religionsfreiheit in manchen Bereichen verweigert wird, wo sie anderen Religionsgemeinschaften gewährt ist, z.B. zeigt das die Sache mit dem Schächten deutlich. Aber das ist nicht unbedingt immer eine gezielte Maßnahme gegen den Islam. Nur kann man es sich mit dem Islam in der Bundesrepublik und anderen Minderheiten erlauben, ihre Freiheit und ihre Rechte zu beschneiden, weil es sich um schwache, um ohnmächtige Minderheiten handelt. Die Ereignisse in unserer Gesellschaft zeigen aber auch, daß von solcher Freiheitsberaubung auch andere betroffen sind. Ich will da nicht auf Einzelheiten eingehen, aber so viel darf und muß gesagt sein:

Religionsfreiheit hängt auch ab von der Qualität der Freiheit in einer Gesellschaft überhaupt, weil sie einen Teil dieser Freiheit darstellt. Darum müssen wir uns heute, Christen wie Muslime, leider Sorgen machen. Vielleicht eröffnet uns das aber auch neue Einsichten und wir entdecken möglicherweise Wege des Zusammenwirkens für eine gemeinsame Bemühung zur Sicherung und Erhaltung von Freiheit und Religionsfreiheit für alle, auch für Minderheiten, auch für die Ohnmächtigen, auch für die anderen, – nicht allein für uns.

(Vortrag im Rahmen des Münchner Bildungswerkes, gehalten am 31. Oktober 1987)

 

Quelle: http://www.al-islam-web.de/RELIGIONSFREIHEIT_AUS_ISLAMISC.37.0.html

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