Gerne verweisen Muslime mit Stolz darauf hin, dass Jesus bereits in der Wiege zu den Menschen sprach und halten dieses Ereignis für eines der größten vollbrachten Wunder eines Propheten schlechthin. Der Bericht über das Wiegenwunder kommt nicht einmal im Neuen Testament vor. Denn da heißt es in diesem Zusammenhang „Und Jesus war, als er auftrat, etwa dreißig Jahre alt“ (Lukas 3:23).
Die maßgeblichen Koranstellen sind folgende:
„Wie Ich (Gott) dich stärkte mit der heiligen Eingebung – du sprachst zu den Menschen sowohl in der Wiege als auch im Mannesalter…“ (5:110)
„Und reden wird er in der Wiege zu den Menschen und auch als Erwachsener, und er wird einer der Rechtschaffenen sein.“ (3:46)
Nachdem Maria, die Mutter von Jesus, der Unzucht beschuldigt wurde, verwies sie auf ihren in den Armen liegenden Sohn hin, damit dieser ihre Unschuld und ihre Keuschheit durch das Wunder „sprechen in der Wiege“ bekräftige.
Der Koranvers lautet wie folgt:
„O Schwester Aarons, dein Vater war kein Bösewicht, und deine Mutter war keine Hure.” Da zeigte sie auf ihn. Sie sagten: ”Wie sollen wir zu einem reden, der noch ein Kind in der Wiege ist?” Er (Jesus) sagte: ”Ich bin ein Diener Allahs; Er hat mir das Buch gegeben und mich zu einem Propheten gemacht.“ (19:28-30)
Dem Ägypter Qarafi (gest. 1285) zufolge musste der Jesusknabe geradezu die Unberührtheit seiner Mutter verteidigen, andernfalls wäre er indirekt an der Entehrung Marias mitschuldig geworden. Eine solche Pietätlosigkeit sei bei ihm jedoch undenkbar. (So Qarafi in seinem Werk „Kostbare Antworten auf schändliche Frage“ in Islam und Christentum im Mittelalter, S. 100)
Entgegen der Mehrheitsinterpretationen der Gelehrten wagen sich nunmehr im 21. Jahrhundert auch Koranexegeten, solche Koranpassagen wie das Wiegenwunder von Jesus (a) vernunftorientiert auszulegen.
Für den türkischen Theologen Mustafa Islamoglu ist es eine unerlässliche Herangehensweise, in diesem Zusammenhang den Gesamtkontext jener Koranverse zu betrachten. Islamoglu kommt deshalb zu der folgenden Ansicht: „dass im Vers 31 und 32 die Rede davon ist, dass Jesus auferlegt wird, dass Gebet und die Zakat (Sozialsteuer) zu entrichten und ehrerbietig zu seiner Mutter zu sein. Diese Handlungen können jedoch nur von einem Erwachsenen vollzogen werden und nicht von einem Säugling. Deshalb sprach Jesus den Vers 30 nicht in der Wiege, sondern im Erwachsenenalter.“ (Hayat Kitabi Kuran, S. 584)
Hier der Kontext dazu:
„Da zeigte sie auf ihn. Sie sagten: ”Wie sollen wir zu einem reden, der noch ein Kind in der Wiege ist?” „Er (Jesus) sagte: ”Ich bin ein Diener Allahs; Er hat mir das Buch gegeben und mich zu einem Propheten gemacht. Und Er gab mir Seinen Segen, wo ich auch sein möge, und Er befahl mir Gebet und Zakah, solange ich lebe; und ehrerbietig gegen meine Mutter (zu sein); Er hat mich nicht gewalttätig und unselig gemacht. Und Friede war über mir an dem Tage, als ich geboren wurde, und (Friede wird über mir sein) an dem Tage, wenn ich sterben werde, und an dem Tage, wenn ich wieder zum Leben erweckt werde.” (19:30-33)
Islamoglu steht mit seiner Interpretation nicht allein da. Auch für den Herausgeber und Überarbeiter einer deutschen Koranübersetzung, Murad Wilfried Hofmann, kann die Textpassage nur dann richtig verstanden werden, wenn die einschlägigen Koranversen chronologisch zugeordnet werden. So fügt er in seiner Fußnote zu 19:30 folgendes hinzu:
„Es handelt sich um eine vorweggenommene Beschreibung seiner späteren Rolle“ (Der Koran, S. 250, Verlag Diederichs)
Ein anderer zeitgenössischer Koranexeget wie Ihsan Eliacik stellt unmissverständlich dar, dass es eine zeitliche Zeitspanne zwischen den Koranversen (19: 29-30) zu berücksichtigen gilt. Dies geht unter anderem aus den folgenden Koranversen hervor: „Und so empfing sie ihn und zog sich mit ihm an einen entlegenen Ort zurück. Und die Wehen der Geburt trieben sie zum Stamm einer Dattelpalme. Sie sagte: ”O wäre ich doch zuvor gestorben und wäre ganz und gar vergessen!“ (Koran 19:22-23)
Für Eliacik bedeutet das sinngemäß: „Es besteht eine offenkundige Zeitspanne in den Koranversen (22-23). Denn in Vers 22 wird Maria zuerst Schwanger und anschließend wie im nächsten Vers (23) ersichtlich wird, dass durch die Wehen das Kind unmittelbar ausgetragen wird. Deshalb liegt allein zwischen diesen zwei Versen (22-23) mindestens eine Zeitspanne von 9 Monate und 10 Tagen vor. Aus diesem Grund wäre es nicht unwahrscheinlich, dass zwischen den Koranversen (29-30) mindestens eine Zeit von 25-30 Jahren existiert. Der Koran führt die geschichtlichen Begebenheiten in so einem Stil vor die Augen, dass man davon ausgehen kann, dass sich die Ereignisse sofort hintereinander abgespielt haben. Diese Lesart ist jedoch fatal (siehe hierzu: Yasayan Kuran, S. 207-208).
Muhammad Asad kommentiert den Koranvers 3:46 „Und reden wird er in der Wiege zu den Menschen und auch als Erwachsener“ so, dass es eine metaphorische Anspielung auf die prophetische Weisheit sei, die Jesus von sehr frühem Alter an inspirieren solle“ (Die Botschaft des Koran, S. 115).
In einer Sache kann man sich vollends gewiss sein, Wa Allahu a´lam- und Gott weiß es am Besten.
Quelle: http://antikezukunft.de/2012/02/13/sprach-jesus-in-der-wiege-zu-den-menschen/