Warum Koran alleine?

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In vielen Diskussionen zwischen Anhängern der Nur-Koran-Lehre und anderen orthodoxen islamischen Strömungen (vor allem Sunniten und Schiiten) geht es um die Frage der Legitimität der Nutzung außerkoranischer Quellen, die so genannten Ahadith (Überlieferungen über Taten und Aussprüche des Propehten Muhammad(sa)). Dabei argumentieren beide Seiten primär mit Koranversen, aber auch die Ahadith selbst werden hinzugezogen; sei es um deren Echtheit oder deren Fehlerhaftigkeit zu belegen. Mit diesen Methoden kann man sich trefflich streiten – stunden lang und ohne zu einem Ergebnis zu kommen, denn es liegt in der Natur der Sache, daß jeder die Quellen anders interpretiert. Die Frage nach der Logik, die dahinter steht wird dabei gerne außer Acht gelassen und es geht irgendwann nur noch um das durchboxen der eigenen Meinung. Kein sehr religiöses Verhalten, aber durchaus menschlich. Aus diesem Grund halte ich es für wesentlich sinnvoller, wenn jeder für sich selbst nach der Beantwortung dieser Frage sucht. Dabei sollten die folgenden  Fragen im hilfreich sein:

  1. Ist der Prophet Muhammad(sa) in jeglicher Hinsicht ein Vorbild?
  2. Sind die als authentisch geltenden Ahadith in jeder Hinsicht unzweifelhaft?
  3. Werden die Ahadith durch Gott geschützt?

 

1. Ist der Prophet Muhammad(sa) in jeglicher Hinsicht ein Vorbild?

Abdullah Ibn Abi Qatada berichtete, daß sein Vater folgendes sagte: „Während einer Reise, die wir mit dem Propheten, Allahs Segen und Friede auf ihm, unternommen haben, sagten einige unserer Leute: »Wir hätten es gern, wenn du mit uns Rast machen würdest!« Der Prophet sagte:»Ich fürchte, ihr werdet euch verschlafen und das Gebet verpassen!«Bilal aber sagte: »Ich wecke euch.«Demnach legten sie sich hin, und Bilal lehnte sich an sein Reittier seine Augen wurden ihm immer schwerer, und er schlief ein. Als der Prophet, Allahs Segen und Friede auf ihm, wach wurde, und die ersten Konturen der Sonne am Horizont erschienen, sagte er:»Du Bilal, wo ist das, was du uns gesagt hast?« Bilal sagte: »Niemals wurde ich so von einem Schlaf überwältigt, wie von diesem!«Der Prophet erwiderte:»Wahrlich, Allah nahm eure Seelen zurück, wie Er wollte, und Er gab sie euch wieder, wie Er wollte. Du Bilal, stehe auf und rufe die Menschen her zum Gebet!«Der Prophet wusch sich fürs Gebet, und als die Sonne etwas höher stand und ihre Strahlen kräftiger wurden, stand er auf und verrichtete das Gebet.“ (Sahih Al-Bucharyy Nr. 0595)

Wie wir sehen hat der Prophet Muhammad(sa) laut Ahadith das Gebet verschlafen. Hat dies Vorbildcharakter? Oder ist der Prophet fehlbar und seine Vorbildfunktion erstreckt sich lediglich auf seine Absicht?
Manch einer mag einwenden, daß der Prophet(sa) derlei Dinge nur getan habe, um zu zeigen, daß sie lediglich unerwünscht (makruh) seien und nicht verboten (haram), man muß sich dann aber auch fragen, wieso die damaligen Muslime nicht in der Lage gewesen sein sollten Begriffe wie unerwünscht bzw. verboten auditiv zu verstehen. Andere würden sagen, daß es ja eigentlich der Fehler von Bilal war. Dann stellt sich aber die Frage, wieso der Prophet auf fremde Hilfe beim Einhalten des Gebetes angewiesen ist.

 

Jabir b. ‚Abdullah reported: The Messenger of Allah (may peace be upon him) was carrying along with them (his people) stones for the Ka’ba and there was a waist wrapper around him. His uncle,“ Abbas, said to him: 0 son of my brother! if you take off the lower garment and place it on the shoulders underneath the stones, it would be better. He (the Holy Prophet) took it off and placed it on his shoulder and fell down unconscious. He (the narrator) said: Never was he seen naked after that day.  (Sahih Muslim Buch 3 Nr. 671)

Muhammad(sa) hatte also keinerlei Probleme nackt zu arbeiten. Ist dies ein Vorbild?

 

2. Sind die als authentisch geltenden Ahadith in jeglicher Hinsicht unzweifelhaft?

Die Hadithwissenschaft wurde nicht im Koran offenbart, sondern ist das menschliche Bemühen die authentischen Überlieferungen von den Fälschungen zu unterscheiden. Es gibt keinen Grund anzunehmen, daß die Hadithwissenschaft perfekt sei und nicht mehr erweitert werden könnte. Dennoch gelten heute noch dieselben Ahadith als sahih, die bereits vor 800 Jahren klassifiziert wurde. Eine Neuauflage dieser Wissenschaft gibt es bislang nur am Rande und wird zumeist heftig kritisiert. Doch wie ist es nun bestellt um die Korrektheit der Ergebnisse der Hadithwissenschaft?
Es ist vielfach überliefert, daß Muhammad(sa) 13 Jahre in Mekka weilte und mit 63 Jahren verstarb.
In dem Buch „Al-Schama’il al-Muhammadiya“ („Die Wesensart der Propheten Muhammad (sa)“) von al-Tirmidhi, einer anerkannten Größe der Hadithwissenschaft findet sich hingegen bereits im ersten Kapitel an erster Stelle die folgende Überlieferung:

„Der Gesandte Allahs – Segen und Frieden seien auf ihm – war weder sehr groß noch klein, seine Hautfarbe war weder sehr weiß noch dunkel, sein Haar war weder kraus noch ganz glatt. Als er vierzig Jahre alt war, machte ihn Allah der Erhabene zum Propheten, und er verbrachte zehn Jahre in Mekka und zehn Jahre in Medina, und im Alter von sechzig Jahren nahm Allah der Erhabene ihn zu Sich; und weder auf seinem Kopf noch in seinem Bart waren mehr als zwanzig weiße Haare zu sehen.“

Der Umstand, daß zwischen verschiedenen als authentisch geltenden Ahadith Widersprüchlichkeiten bezüglich des Alters des Propheten(sa) und seiner Aufenthaltsszeit in Mekka bestehen, blieb den Gelehrten nicht verborgen. Aber anstatt die eigenen Methoden der Hadithkritik zu hinterfragen wurden diese absolut gesetzt und man erfand Erklärungen für diese Widersprüchlichkeiten, wie die folgende, die einer Fußnote der deutschen Übersetzung des oben genannten Buches entnommen ist: „Von der ersten Offenbarung bis zur Auswanderung des Propheten(sa) vergingen dreizehn Jahre, die Differenz von drei Jahren ist entweder durch eine Auslassung der Zahl „drei“ durch einen Kopisten oder Überlieferer oder durch eine nur ungefähre Wiedergabe der Anzahl von Jahren zu erklären.“ An anderer Stelle heißt es: „Die Differenz in der Angabe der Jahreszahlen ist nach al-Nawawi in Scharh Sahih Muslim auf eine Art der Abrundung auf volle Jahrzehnte zurückzuführen, während die Angaben, der Prophet sei im Alter von fünfundsechzig Jahren gestorben, das Geburts- und Todesjahr mitzählten.“1

An dieser Stelle wird bereits klar, daß nur die Annahme, die Methodik sei die korrekte als Grundlage für die Spekulationen über diese Annahmen dient. Und das obwohl bereits diese Erklärungen das komplette System der Ahadith terminieren: es wurde durch einen Kopisten oder Überlieferer ausgelassen: müßte man dann nicht alle Überlieferer dieses Isnads (Überliefererkette) als unsicher verwerfen? Man tut es nicht! Die Zahl ist das Ergebnis einer Abrundung? Folglich nehmen es die Überlieferer mit der Überlieferung nicht so genau, es scheinen auch ungefähre Angaben zu genügen. Auch in diesem Falle müßten die Überlieferer als weniger vertraunswürdig gelten! Doch wieso tut man es nicht? Weil man eben nicht weiß, ob diese Abweichungen wirklich das Ergebnis der Annahmen sind. Man erklärt, ohne einen Beweis mit dem Ziel die Methode nicht einstürzen zu lassen. Liest man die Fußnote zu Ende, so wird dies offensichtlich:
„Al-Nawawi erklärt, nach der überwiegenden und korrekten [korrekt weil überwiegend?] Ansicht der Gelehrten habe der Prophet (sa) nach Beginn der Offenbarung dreizehn Jahre in Mekka und zehn Jahre in Medina gelebt, bis Allah ihn im Alter von dreiundsechzig Jahren zu Sich nahm.“
An diesem Satz wird deutlich, daß es offenbar eine Minderheit von Gelehrten gab bzw. gibt, die Aufgrund der widersprüchlichen Quellenlage zu anderen Ergebnissen kommen, was nur natürlich ist, da die Erklärungen allesamt auf reinen Vermutungen basieren. So auch bei den folgenden beiden Überlieferungen, die sich in demselben Buch finden lassen:

8. Kapitel Nr. 60
„Das Kleidungsstück, welches der Gesandte Allahs – Segen und Friede seien auf ihm – am liebsten trug, war eine Art Überwurf aus jemenitischem Stoff.

8. Kapitel Nr. 55
„Das Kleidungsstück, welches der Gesandte Allahs – Segen und Friede seien auf ihm – am liebsten trug, war das lange Hemd.“

Hierzu nun erneut die Fußnote: „Lt. al-Bayjuri besteht hier kein Widerspruch zu Hadith Nr. 55, denn die Aussage des Propheten(sa) bezüglich des Qamis [Hemd] könnte sich auf genähte Kleidungsstücke beziehen, während die hinsichtlich des Überwurfs aus jemenitischem Stoff [hibara] die Art des Stoffes betrifft, weil er angenehm zu tragen, jedoch zugleich fest gewoben und schön anzusehen sei; oder es sei möglich, daß der Gesandte Allahs (sa) in der Gegenwart von Frauen am liebsten das Qamis, im Kreise seiner Gefährten jedoch am liebsten die Hibara trug.“
Natürlich hätte es so sein können, aber mit „könnte“ kann man alles erklären, wenn man nur will, was an sich ja auch kein Problem darstellt. Problematisch wird die Sache aber dann, wenn man aus Überlieferungen, die schon bei so harmlosen Dingen, wie der Kleidung des Propheten(sa) durch Vermutungen in Einklang gebracht werden müssen allgemeine Gesetze und Strafen ableitet, die mit derselben Methodik ermittelt wurden.

Man kann es drehen und wenden, wie man will, aber eine 100%ige Gewißheit, ob die Überlieferungen der Realität entsprechen gibt es nicht. Auch die Ahadith selber geben keine Auskunft darüber, inwieweit sie als seriös gelten können. Man kann also nicht einmal – so wie beim Koran – sagen, daß man es einem heiligen Text entnimmt, an den man glaubt, weil dieser für sich in Anspruch nimmt authentisch zu sein. Man glaubt vielmehr an die authenzität der Überlieferungen, weil man einem von Menschen ersonnenen System der Hadithkritik unkritisch glaubt.2

3. Werden die Ahadith durch Gott geschützt?

Es gibt weder einen Koranvers, noch einen Hadith, der belegen würde, daß Ahadith geschützt seien. Wäre dem so, so hätte sich auch keine Hadithwissenschaft entwickeln brauchen. Dies geschah denn auch erst ca. 200 Jahre nach dem Ableben Muhammads(sa). Die Menschen lebten also 200 Jahre mit unmengen an falschen Überlieferungen, ohne daß Gott sie davor geschützt hätte. Wo läge also die Weisheit, wenn Gott ein Buch herabsendet, welches vor Verfälschung bewahrt wird, für dessen Verständnis (so sehen es Sunniten und Schiiten) man jedoch auf Texte angewiesen ist, die diesen Schutz nicht haben?

 


1 Die Ahadith, die die Zahl 65 erwähnen finden sich im genannten Buch als Nummer 376 und 377 im 52. Kapitel.
2 Weitere Widersprüche: Problematik der Überlieferungen

 

 

Quellen und weiterführendes:

„So war der Prophet“ von Tirmidhi

„Einführung in die Hadithwissenschaften! von F. Heider

 

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